Die Lutherverschwörung
nachschauen!«
Eine zweite Holztreppe, kürzer zwar, aber genauso steil, führte ins Dachgeschoss. Jost leuchtete mit seiner Kerze den Weg, hatte aber Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Schwindel war zurückgekehrt. Vor seinen Augen drehte sich alles, und er fürchtete, die Treppe hinunterzustürzen. Oben angekommen, fanden sie erneut zwei Türen vor, von denen eine verriegelt war, während die andere sich öffnen ließ.
Sie blickten in eine Rumpelkammer mit einem Bett darin, das den Eindruck machte, als habe vor kurzem noch jemand darauf gelegen. Von Martha keine Spur. An der anderen Tür gelang es Jost, das Schloss zu zertrümmern. Mit klopfendem Herzen nahm Anna die Kerze an sich und leuchtete ins Zimmer: Dort stand ein Bett, und darauf saß, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt … Martha! Sie hatte die Beine angezogen und vergrub ihr Gesicht zwischen den Knien. Erst nach einiger Zeit blickte sie mit großen, verängstigten Augen zur Tür. Jost trat zur Seite, und Anna lief zu ihrer Tochter.
Was sie sagte, schien Martha erst gar nicht zu begreifen. Jost fürchtete schon, das Mädchen habe den Verstand verloren. Sie schreckte zurück, presste den Rücken gegen die Wand und hob ihre Hände abwehrend vors Gesicht. Es sah so aus, als ob sie ihre Mutter nicht erkannte. Anna setzte sich zu Martha und redete beruhigend auf sie ein, bis die Kleine endlich zu weinen begann und ihr um den Hals fiel.
Anna streichelte Marthas Haar. »Tut dir etwas weh?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. Nach und nach erzählte sie, die Männer hätten ihr Angst gemacht, sie aber sonst gut behandelt.
Anna schaute zu Jost, der noch immer etwas unbeholfen im Türrahmen stand, mit seiner linken Hand gegen den Pfosten gestützt. »Du hast Wort gehalten«, sagte sie. »Das vergesse ich dir nie.«
Jost fand eine zweite Kerze, zündete sie an und verließ den Raum, um die beiden eine Weile allein zu lassen. Er ging ins Erdgeschoss zurück und untersuchte die Leiche am Boden. Kleidung und Hände ließen vermuten, dass es sich um den Büchsenmacher handelte, dem wohl das ganze Haus gehörte. Jost durchsuchte die Werkstatt und fand in einer Truhe ein Geschäftsbuch, aus dem hervorging, dass der Büchsenmacher fast ausschließlich für Bischof Brangenberg – den Jost einmal auf einem Fürstentag gesehen hatte – und dessen Leibwache arbeitete. Hatte der Bischof, der ohne Zweifel zu Luthers Gegnern zählte, etwas mit der Entführung zu tun?
Jost ging wieder nach oben, wo die völlig überdrehte Martha mittlerweile ihre Angst abgelegt hatte und wie ein Wasserfall redete. Jost stellte ihr einige Fragen und erfuhr, dass der Mann, der sich als Pilger ausgegeben hatte, in Wirklichkeit Wulf Kramer hieß.
»Woher weißt du das, Martha?«
»Weil der Büchsenmacher ihn so genannt hat.«
»Weißt du noch mehr über diesen Wulf Kramer?«
»Nein. Oder doch … Er stellt Armbrüste her. Darüber haben sie einmal gesprochen.«
»Das ist sehr wichtig. Was du gerade gesagt hast, kann uns vielleicht helfen, ihn zu finden.«
Jost wandte sich an Anna. »Im Moment gibt es für uns hier nichts mehr zu tun. Am besten bringen wir Martha nach Hause. Ich schicke dann so bald wie möglich meine Leute her, damit sie das ganze Haus auf den Kopf stellen. Vielleicht entdecken sie noch Spuren, die mir vorhin entgangen sind.«
Jost nahm Martha auf die Arme. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, dann war sie plötzlich eingeschlafen. Er küsste ihre geschlossenen Augenlider und trug sie nach unten.
In Wittenberg steuerten sie ohne Umweg den Cranachhof an. Luthers Abschiedsfeier war längst beendet. Anna öffnete die Tür zu ihrer Kammer, und Jost legte Martha aufs Bett. Sie schlief dort gleich weiter.
Er setzte sich auf die Bettkante und betrachtete schweigend das Gesicht des Kindes, das durch die offene Tür vom Mondlicht beschienen wurde. Wieder empfand er dieses merkwürdige Gefühl von Wärme, wie er es noch nie erlebt hatte.
Da wurde er plötzlich in seinen Gedanken unterbrochen, denn Anna schloss die Tür, und es wurde stockfinster. Ihre Schritte kamen leise näher. Sie setzte sich neben ihn.
Es raschelte. »Was machst du da? – Doch nicht hier! Das Kind …«
»Ach, ich kenne meine Martha. Die schläft jetzt wie ein Murmeltier. Da könnte das ganze Haus einstürzen, sie bekäme es nicht mit.«
»Na ja, ich weiß nicht so recht …«
»Sind Söldner immer so zimperlich?«
»Ich bin nicht zimperlich.«
»Dann küss mich endlich
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