Die Lutherverschwörung
schnell nicht beschaffen. Darauf gehe ich überhaupt nicht ein, überlegte Wulf, in Worms wimmelt es von Bankiers und Geschäftsleuten, die nur darauf warten, an potente Kunden Kredite zu vergeben. Bestimmt sind auch Abgeordnete der Fugger in der Stadt. Falls er meinen Forderungen nicht nachkommt, töte ich ihn.
Nun wurde es Zeit. Wulf nahm seinen großen Reisesack, weil er die Armbrust nicht unbewacht lassen wollte, ging ins Treppenhaus – und stieß dort wieder auf den Großvater. Das konnte doch kein Zufall sein! Bestimmt hatte Wladislaw die ganze Zeit gelauert und gehorcht, offenbar hörte er noch recht gut. Der alte Mann stand in der Tür zu seiner Kammer und sagte diesmal kein Wort. Wulf schwieg ebenfalls, aber sie schauten sich an, und ihre Blicke genügten, um sich offen den Krieg zu erklären. Um dieses Problem musste Wulf sich später kümmern, dazu war jetzt nicht der rechte Moment. Er ging an dem Alten vorbei und verließ das Haus.
Auf dem Domplatz loderten Feuer, es roch nach verbranntem Holz; eine große Menschenmenge hatte sich kreisförmig versammelt. In der Mitte standen zwei schwergewichtige Männer mit entblößtem Oberkörper, ihre Haut glänzte, weil sie vollständig mit Öl eingerieben waren. Sie fassten sich an den Schultern und steckten die Köpfe zusammen; dann begann der Ringkampf, und das Publikum feuerte sie an, man schloss Wetten ab und schrie. Sie sind dumm und stark, dachte Wulf, aber das gefällt den Menschen – so war die Welt, deshalb verachtete er sie.
Bis zum Dom waren es nur wenige Schritte. Vor dem Hauptportal hatte sich eine zweite Ansammlung gebildet; hier dienten Tänzerinnen, dunkelhäutig und mit schwarzen Haaren, als Blickfang. Normalerweise hätte man sie ihrer spärlichen Bekleidung wegen eingesperrt, aber während eines Reichstages schenkte niemand den Sittenwächtern Gehör. Wulf sollte es recht sein, so waren die Leute beschäftigt. Unbemerkt konnte er die Kathedrale betreten.
Weihrauchschwaden hingen in der Luft; am Hauptaltar und vor den Seitenaltären brannten Kerzen. Ein lateinisches Gebet erklang, dessen Worte sich formelhaft wiederholten und von den steinernen Wänden widerhallten. Wulf wählte eine der hinteren Reihen und setzte sich im Mittelschiff auf eine Bank. Zwei Bänke vor ihm knieten eine Mutter und ihre drei kleinen Söhne. Die Frau hatte die Stirn auf ihre gefalteten Hände gelegt, zwei Söhne beteten ebenfalls, während der dritte sich gelangweilt umschaute und Wulf die Zunge herausstreckte.
Wulf war überwältigt von der Pracht der Kathedrale, die man für den Reichstag noch besonders herausgeputzt hatte: Golddurchwirkte weiße Tücher hingen von den Säulen und Heiligenskulpturen standen auf Podesten, aus Lindenholz verfertigt und aus rötlichem Marmor. Teilweise waren es Leihgaben, die nach dem großen Spektakel wieder verschwinden würden. An Festtagen, so vermutete Wulf, fanden hier Messen statt, an denen sie alle teilnahmen: Kaiser Karl, der König von Böhmen, die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, Herzöge, Grafen, Kardinäle, Bischöfe und Äbte. Vor seinem inneren Auge sah er sie in vollem Ornat Einzug halten, sah Gold und Silber und Edelsteine leuchten und hörte das Rascheln von Seide.
Momentan verloren sich die Besucher in der Weite des Raumes. Wulf hatte in seinem kurzen Schreiben von Brangenberg gefordert, dass er, falls er nicht selbst käme, jemanden schicken solle, der einen Rock mit seinem Wappen trug. Er war früh gekommen, um beobachten zu können, wer die Kirche betrat.
Ein Mann ging ein wenig gebeugt im Nebenschiff auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt. Auf Wulf machte er einen nervösen Eindruck, so, als sei er verabredet und warte auf jemanden. Der Mann schaute sich immer wieder um. Als er Wulf bemerkte, blickten sie sich in die Augen. Trug er ein Wappen? Er war zu weit entfernt, Wulf konnte es nicht erkennen. Sie belauerten sich gegenseitig, immer wieder schaute der Mann zu Wulf herüber, dann entdeckte er eine Frau am anderen Ende der Kirche, sie mochte Anfang vierzig sein und war ihrer Kleidung nach mit einem wohlhabenden Mann verheiratet. Die beiden trafen sich in einer Seitenkapelle und Wulf beobachtete, dass sie heimlich miteinander sprachen. Das Gotteshaus ist nicht nur ein Heiratsmarkt, dachte er, hier werden auch die Verabredungen zum Ehebruch getroffen.
Doch dann lief ein Mann mit blauem Umhang durchs Mittelschiff. Als er Wulf entdeckte, verlangsamte er seine Schritte und setzte sich auf die
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