Die Macht der Angst (German Edition)
auch. Ich muss mich wieder entschuldigen. Aber verflucht, ich komme einfach nicht dagegen an! Sechs gottverdammte Wochen. Anfangs habe ich es noch verstanden. Du lagst bewusstlos auf der Intensivstation. Ich saß in Untersuchungshaft. Jeder hatte wichtigere Sorgen als meine verletzten Gefühle. Das war mir bewusst. Aber sechs Wochen? Warum haben mich alle am ausgestreckten Arm verhungern lassen? Hattest du sie darum gebeten?«
»Kev –«
»Denn wenn du möchtest, dass ich aus deinem Leben verschwinde, werde ich es tun.« Er machte seinem Herzen weiter Luft, entschlossen, alles herauszulassen. »Wenn du willst, dass ich mich verpisse, schwöre ich bei Gott, dass ich deinen Wunsch respektieren werde. Aber nur dieses zermürbende Schweigen, mich einfach auszuschließen …« Er wandte sich ab und ließ den Blick über den See schweifen. Sein Adamsapfel hüpfte. »Bitte, verzeih mir«, sagte er kleinlaut. »Lass es uns noch mal von vorn versuchen. Ich hatte dich gefragt, wie es dir geht. Du sagtest, beschissen. Wie wollen wir weitermachen?«
»Ich könnte dich fragen, wie es
dir
geht«, schlug sie zaghaft vor.
Kev quittierte das mit einem vielsagenden Blick. »Tu das lieber nicht.«
Es trat eine unbehagliche Pause ein, dann schaute er wieder weg und suchte etwas in seiner Jackentasche. Er gab ihr ein gefaltetes Stück Papier. »Das ist für dich.«
Edie starrte es nervös an. »Was …«
»Von Jamal«, erklärte er. »Ich habe ihn unter meine Fittiche genommen.«
Frische Tränen überfluteten ihre Augen, als sie das Blatt auseinanderfaltete und die fast unentzifferbare Nachricht las. »Danke«, flüsterte sie. »Wie kommt er zurecht?«
»Ganz gut. Er vermisst dich. Das hat uns zusammengeschweißt.«
»Oh.« Das musste sie erst verdauen. »Ähm, und wie geht es Tam?«
»Besser. Aber es war haarscharf. Eine Kugel hatte ihre Lunge durchbohrt, eine zweite hätte fast ihre Oberschenkelarterie zerfetzt. Wäre sie einen Millimeter näher dran gewesen, wäre Tam hingefallen und binnen dreißig Sekunden verblutet. Aber sie hatte Glück.«
»Darüber bin ich sehr froh«, sagte Edie leise.
»Ich auch. Obwohl ich die undankbare Aufgabe hatte, ihrem Lebensgefährten Valery dabei zuzusehen, wie er sie in ihrem Krankenhausbett umsorgte. Du weißt schon, ihr die Haare kämmte, die Füße massierte, sie zu füttern versuchte, das ganze Paket. Er hat sie halb in den Wahnsinn getrieben. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie ich mich dabei gefühlt habe.«
»Es tut mir leid«, wiederholte sie.
Kev schüttelte den Kopf. »Jetzt fange ich schon wieder an. Ach, übrigens, Tam hat gesagt, dass du zäh bist. Bevor sie das Bewusstsein verlor, meinte sie, dass ich dich festhalten soll. Es hätten ihre letzten Worte sein können. Ich finde, das ist ein ziemliches Kompliment.«
»Wow«, sagte Edie matt. Das widersprach so sehr ihrem derzeitigen Selbstbild, dass sie fast gelacht hätte. Doch das hätte weitere Tränen nach sich gezogen, darum beherrschte sie sich.
»Ich versuche, dich festzuhalten«, fuhr Kev entschlossen fort. »Ich wünsche es mir so sehr, aber du bist wie eine Rauchschwade, Edie. Ich bekomme dich einfach nicht zu fassen.«
Sie betrachtete ihre zierliche Hand in seiner großen, dann drückte sie ermutigend seine Finger. »Aber jetzt hast du mich zu fassen gekriegt.«
»Habe ich das?« Er richtete die ganze durchdringende Strahlkraft seines Blicks auf sie.
Edie hielt ihm ohne mit der Wimper zu zucken stand. »Ja.«
»Dann hast du bestimmt nichts dagegen, wenn ich das hier tue.« Er legte die Hände um ihr Gesicht und küsste sie.
Der Kuss war zärtlich, aber nicht scheu. Er war sehr intim und innig. Kevs warmer, sanfter Mund versuchte, Edie mit seiner geduldigen, unwiderstehlichen Magie die Reaktion zu entlocken, die er brauchte.
Und wie aus dem Nichts bekam er sie, als leidenschaftliche Hitze ihren Körper durchströmte. Sie schmiegte sich an ihn. Der Kuss wurde intensiver und süßer, ihre Umarmung enger, hungriger. Seine Energie ging auf sie über und breitete sich in ihr aus. Oh, herrliche, heiß ersehnte Erleichterung. Ihre Brust begann zu beben.
Schwankend hielten sie einander in den Armen, während der Wind ihnen die Haare zauste und um die Köpfe peitschte und gurgelnde Brandungswellen über die rappelnden Kiesel des Seeufers trieb.
Nach einem zeitlosen Moment perfekter Glückseligkeit hauchte Kev mehrere Küsse auf Edies Wangenknochen und fand seine Sprache wieder. »Mein Zwillingsbruder Sean
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