Die Macht der Angst (German Edition)
hat.«
Dem hatte Kev nichts entgegenzusetzen, aber er würde seinem Bruder auch nicht beipflichten. »Ich muss wissen, woher ich komme«, sagte er.
»Wozu?«, brüllte Bruno. »Was soll das bringen? Was würde es beweisen?«
Er hatte recht. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass die Kenntnis seiner Vergangenheit Kevs Lebensqualität verbessern würde. Hingegen gab es jeden Grund zu der Befürchtung, dass sie sich dadurch noch verschlechtern könnte. Aber die Neugier machte ihn rasend. Er hatte immer wissen wollen, woher er kam, doch seit dem Ereignis am Wasserfall wurde dieses Verlangen durch pure Emotion geschürt, so als würde man ihm Raketentreibstoff beimischen. Selbst wenn sich die Wahrheit als beschissene Katastrophe entpuppen sollte, musste er sie trotzdem in Erfahrung bringen.
Aber Bruno kam gerade erst in Fahrt. »Was stimmt nicht mit dem Leben, das du hast? Du bist stinkreich, andernfalls würdest du aufhören, dein Geld Witwen und Waisen hinterherzuwerfen. Du hast mich und Tony und Rosa als deine Familie. Oder sind wir etwa nicht gut genug für dich?«
»Sei kein Idiot. Es hat nichts mit dir oder Rosa und Tony zu tun.«
»Wir reichen dir nicht«, tobte Bruno weiter. »Du bist völlig auf dieses schwarze Loch in deinem Kopf fixiert, anstatt auf das Leben, das du dir aufgebaut hast. Hast du dir je überlegt, dass das, was sich in diesem Loch verbirgt, eine Riesenenttäuschung für dich sein könnte? Du warst in einem erbarmungswürdigen Zustand, als Tony dich gerettet hat. Wer immer deine Familie war, sie hat dir nicht beigestanden! Sie hätten dich sterben lassen! Der Teufel soll sie holen.«
Kev schaute den jüngeren Mann an. »Ich habe nicht vor, euch in den Wind zu schießen. Auch wenn ich meine frühere Familie finde, wirst du immer mein Bruder bleiben. Komme, was wolle.«
Bruno ließ sich nicht besänftigen. »Das ist nicht der springende Punkt.«
Kev hielt den Blick unverwandt auf sein Gesicht gerichtet.
»Ach, halt einfach die Klappe«, brummte Bruno. »Halt verflucht noch mal die Klappe.«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Das musst du auch nicht. Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Los jetzt. Iss das.« Er knallte eine Brötchenhälfte auf einen Teller, häufte Rührei darauf und drapierte Speck darüber.
Kev kämpfte gegen eine Welle der Übelkeit an. Es gab keine Möglichkeit, Bruno sanft eine Abfuhr zu erteilen, darum schüttelte er den Kopf und sagte: »Ich nehme nur Kaffee.«
Bruno murmelte etwas Obszönes auf Kalabrisch, dann warf er den vollen Teller wie eine Frisbeescheibe in die Spüle. Das Klirren zerschellenden Porzellans bewirkte, dass Kev zusammenzuckte und sich die Hände auf die Ohren schlug. Gott, dieser Schmerz.
Ohne den Zorn zu beachten, der vom breiten Rücken seines Ziehbruders abstrahlte, zog er seinen Mantel aus und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Er bemühte sich, nicht zu humpeln, als er das Zimmer durchquerte. Jedes Anzeichen von Schwäche würde Bruno noch mehr in Rage bringen.
Er setzte sich an seinen Arbeitstisch und schaltete den Computer an.
»Verlustier dich nicht mit diesem Ding, während ich mit dir rede«, fauchte Bruno.
»Ich verlustiere mich nicht«, gab Kev sanft zurück. »Und wenn du redest, werde ich antworten.«
»Mit halber Hirnleistung? Das geht mir tierisch auf den Sack.«
Kev öffnete seinen Browser. »Mehr hatte ich nie zur Verfügung.«
»Schwachsinn. Du könntest Probleme der höheren Mathematik lösen, während du gleichzeitig ein Atomraketenabschussgerät bedienst, Witterungsverläufe analysierst und einen Pudel rasierst. Normale Menschen nennen das schlechte Manieren.«
Kev musste sich ein Lächeln verkneifen. »Das ist ziemlich witzig aus dem Mund von einem, der gerade meine Tür aufgebrochen hat. Und jetzt verzieh dich, Bruno. Ich arbeite.«
Bruno schnappte sich einen Stuhl und hockte sich rittlings darauf. »Ich gehe, wenn du isst.«
Kev seufzte. »Das wird noch Stunden dauern. Mein Magen ist durcheinander. Keine Verdauungssäfte. Ich will es dir nicht schwermachen, es ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Dann werde ich eben warten, bis es dir besser geht«, verkündete Bruno.
Kev massierte seine pochende Stirn. »Danke für deine Fürsorge, trotzdem nein. Ich liebe dich, Mann, aber ich habe zu tun. Darum verpiss dich.«
»Zwing mich doch.«
Kev atmete bedächtig aus. Wegen seiner Erschöpfung war er diese Sache falsch angegangen. Jetzt würde er seinen Bruder nicht kampflos loswerden.
Er registrierte
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