Die Macht der Drei
jetzt allein in das leere Haus in der Johnson Street zurückkehren müsse und daß… auch Silvester von ihr gegangen sei.
Ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren Körper. Sie drohte umzusinken, als plötzlich Dr. Glossin zu ihr trat, sie stützte und behutsam von dem Grabe fortführte. Sorgsam geleitete er sie durch die breiten Wege des Friedhofes, der in voller Junipracht grünte und blühte, als ob es keinen Tod und kein Sterben auf der Welt gäbe.
Willenlos ließ Jane es geschehen. Jeder Mensch, der sich ihrer annahm, war ihr in ihrem augenblicklichen Zustande willkommen. Um wieviel mehr Dr. Glossin, der so lange in ihrem Hause verkehrte, der ihre Mutter genau gekannt hatte, der versprochen hatte, ihr über Silvester Nachrichten zu bringen!
Sie stieg vor dem Friedhof in seinen Kraftwagen und ließ sich von ihm in die Wohnung in der Johnson Street geleiten. Und hier, im Anblick der altvertrauten und heute so ganz verwaisten Räume, kam ihr Schmerz von neuem zum Ausdruck. Fassungslos sank sie auf einen Sessel und drückte das Taschentuch vor die Augen.
Dr. Glossin ließ sie einige Minuten gewähren. Dann legte er ihr sanft die Hand auf das Haupt.
»Meine liebe Miß Jane, versuchen Sie es, sich zu fassen. Ich weiß, es hat wenig Zweck, Ihnen in dieser Stunde trostreich zuzusprechen. Haben Sie Vertrauen zu mir. Folgen Sie meinem Rat. Nehmen Sie meine Hilfe an, und es wird alles gut werden.«
Jane ließ das Tuch sinken und blickte auf. Ein neues Gefühl erwachte in ihr. Ihre Tränen versiegten. Die Welt erschien ihr nicht mehr so völlig leer und trostlos.
»Sie sind der einzige nähere Bekannte, Herr Doktor, den wir hatten, den ich jetzt noch habe.«
»Sagen Sie: der einzige Freund! Lassen Sie sich von mir beraten. Sie müssen aus der alten Umgebung heraus. Aus den Räumen, in denen jedes Stück Sie an Ihren großen Verlust erinnert.«
Jane drängte tapfer die wiederaufsteigenden Tränen zurück und nickte zustimmend.
»Sie haben wohl recht, Herr Doktor! Doch wohin soll ich gehen?«
»Lassen Sie das meine Sorge sein. Die Hauptsache ist, daß Sie sofort für ein paar Wochen in eine andere Umgebung kommen. Ich besitze in Colorado am Ausgange des Gebirges eine Farm. Da haben Sie andere Luft, andere Gesichter und werden schneller das seelische Gleichgewicht wiedergewinnen. Sie sind dort mein Gast, solange es Ihnen gefällt. Mein Personal steht zu Ihrer Verfügung, und ich selbst werde hoffentlich recht oft die Zeit finden, Sie zu sehen, mich von Ihrem Wohlbefinden zu überzeugen.«
Dr. Glossin sprach langsam und eindringlich. Jane hörte ihm ruhig zu. Zuerst noch leise widerstrebend. Ein Gedanke ging ihr durch den Sinn. Ich werde nicht hier sein. Silvester wird mich suchen und nicht finden.
Dr. Glossin erriet den Gedanken auch unausgesprochen.
»Ich werde die Zwischenzeit benutzen, um über den Verbleib von Mr. Logg Sar etwas in Erfahrung zu bringen. Auch werde ich inzwischen alle Ihre Angelegenheiten hier ordnen. Briefe und was sonst hierherkommt, wird Sie in Reynolds-Farm erreichen. Dort wird die frische Bergluft des Felsengebirges Ihre blassen Wangen bald wieder röten.«
Für einen väterlichen Freund sprach Dr. Glossin ein wenig zu eifrig und lebhaft. Aber Jane achtete nicht darauf. Die Worte des Arztes hatten ihre letzten Bedenken besiegt. Ihr Aufenthalt würde bekannt sein. Alle Nachrichten würden sie an der neuen Stelle erreichen. Hoffentlich recht gute und auch recht bald. Sie nahm die Vorschläge und die Einladung Glossins an.
Der hatte es sich in der letzten Stunde reiflich und nach allen Seiten hin überlegt. Daß er Jane aus einer ganzen Reihe von Gründen mit sich nehmen und unter seinem Einfluß behalten mußte, stand bei ihm fest. Daß er zur Erreichung dieses Zieles seinen hypnotischen Einfluß auf Jane ausnutzen mußte, war ebenfalls sicher. Nur, wie weit er diesen Einfluß anwenden solle, darüber war er noch im Zweifel. Sollte er so weit gehen, ihr überhaupt jede Erinnerung an die tote Mutter wegzusuggerieren? Damit fielen auch für Jane das Gefühl der Verlassenheit und der Grund fort, ihm zu folgen und sich unter seinen Schutz zu stellen. Er mußte dann noch einen Schritt weitergehen und sie durch die Hypnose ganz an sich ketten.
Es widerstand ihm, Jane als einen willenlosen Automaten mit sich zu nehmen. Er wollte aus einer eigentümlichen Stimmung heraus, daß Jane ihm freiwillig und aus einem natürlichen Schutzbedürfnis folge. Aber er mochte auch keine ständig
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