Die Macht des Geistes
brutal; Morgan war schlanker und sah auf den ersten Blick weniger gefährlich aus, aber die brennenden Augen unter der hohen Stirn verrieten den rücksichtslosen Fanatiker. Die beiden Männer starrten sich wütend an und wandten sich dann aufgebracht an Mandelbaum. North drückte ihre Gefühle aus, als er knurrte: »Warum haben Sie uns gleichzeitig hereingeholt? Ich wollte allein mit Ihnen sprechen.«
»Tut mir leid«, antwortete Mandelbaum, obwohl er absichtlich dafür gesorgt hatte, »das muß ein Versehen sein. Aber warum nehmen Sie nicht beide einen Augenblick Platz? Vielleicht werden wir uns trotzdem irgendwie einig.«
»Für uns kann es kein ›Irgendwie‹ geben«, sagte Morgan scharf. »Meine Anhänger und ich haben nicht die Absicht, noch lange geduldig zuzusehen, wie dieser Stadtrat hartnäckig die Prinzipien des Dynapsychismus unbeachtet läßt. Ich warne Sie, wenn Sie nicht bald für eine vernünftige Reorganisation sorgen, werden wir ...«
North drängte ihn beiseite und wandte sich an Mandelbaum. »Hören Sie, im Hafen liegen fast hundert Schiffe, während die Ostküste und Europa wieder Handel treiben möchten. Meine Leute haben es allmählich satt, daß niemand auf sie hört.«
»Wir haben in letzter Zeit nicht mehr viel aus Europa gehört«, sagte Mandelbaum entschuldigend. »Und die ganze Lage ist so unsicher, daß wir nicht einmal den Versuch unternehmen können, mit anderen Städten an der Ostküste Handel zu treiben. Womit sollen wir außerdem handeln? Wer beschafft Treibstoff für die Schiffe? Tut mir leid, aber ...« In Gedanken fuhr er fort: Die eigentliche Schwierigkeit liegt
darin, daß du selbst unzufrieden bist, weil du keine Schmiergelder mehr bekommst.
»Daran ist nur die unglaubliche Sturheit der gegenwärtigen Machthaber schuld«, erklärte Morgan. »Ich habe bereits zwingend bewiesen, daß eine soziale Integration auf Grund der von mir entdeckten psychologischen Prinzipien innerhalb kürzester Zeit ...«
Und du lebst davon, daß es noch zu viele Menschen gibt, die deine Machtgier unterstützen, weil sie selbst nach der endgültigen Antwort suchen, dachte Mandelbaum gelassen. Du sprichst wie ein Intellektueller, deshalb halten sie dich für einen; eine gewisse Schicht hält noch immer nach einem Mann auf einem weißen Pferd Ausschau, aber er soll möglichst ein wissenschaftliches Werk unter dem Arm haben. Du und Lenin!
»Entschuldigen Sie«, sagte er laut. »Was schlagen Sie vor, Mister North?«
»New York hat als Hafenstadt begonnen und wird früher oder später wieder ein großer Hafen sein. Diesmal muß dafür gesorgt werden, daß die Arbeiter, die für das Funktionieren des Hafens verantwortlich sind, auch ein Mitspracherecht bekommen, das ihnen zusteht!«
Du willst also auch Diktator werden , überlegte Mandelbaum, bevor er laut sagte: »Vielleicht haben Sie beide nicht einmal unrecht, meine Herren. Aber wir können nicht alle Wünsche gleichzeitig erfüllen, was ihnen klar sein dürfte. Ich glaube allerdings, daß Ihre Gedankengänge nicht wesentlich voneinander abweichen. Weshalb schließen Sie sich nicht zu einer gemeinsamen Front zusammen? Dann könnte ich Ihre Vorschläge vor dem Stadtrat mit wesentlich mehr Überzeugungskraft vertreten.«
Morgan lief rot an. »Diese Ansammlung schwitzender menschlicher Maschinen ...«, begann er.
North ballte die Fäuste. »Keine Frechheiten, sonst ziehe ich Ihnen den Scheitel gerade!«
»Beherrschen Sie sich, meine Herren«, mahnte Mandelbaum. »Sie wollen doch beide eine besser integrierte Regierung, nicht wahr? Meiner Meinung nach ...«
Hmmm. Der gleiche Gedanke blitzte in zwei Augenpaaren auf. Es war verblüffend einfach gewesen, ihn den beiden Männern zu suggerieren. Vielleicht können wir gemeinsam ... und dann kann ich ihn irgendwie beseitigen ...
Die Diskussion dauerte noch längere Zeit, endete aber schließlich damit, daß Morgan und North den Raum in schöner Eintracht verließen. Mandelbaum spürte förmlich, mit welcher Verachtung die beiden auf ihn herabsahen, weil sie ihn für einen unfähigen Trottel hielten, der sich hatte überrumpeln lassen.
Mandelbaum überlegte sich, wie traurig es doch war, daß die Menschen sich kaum geändert hatten.
Der Träumer baute nur noch wildere Luftschlösser; der Arbeiterführer war noch immer von seiner sinnlosen Geldgier besessen, ohne sie überwinden zu können. Aber das würde nicht mehr lange dauern. Schon in wenigen Monaten würde es keine Norths und keine Morgans mehr
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