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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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1
    E s gab nichts, was nachts anders war als am Tag. Allem fehlt nur die Farbe, sagten wir uns.
    »Das Bett ist das Bett, das Zimmer das Zimmer. Der Flur ist der Flur und die Treppe die weiße Treppe.«
    Die Tür war die Tür, und sie war zu.
    Draußen der Garten ist der Garten auch in der Nacht, sagten wir uns. Und Ira wusste dabei, und ich wusste es ebenso, jeder für sich musste lernen, allein zu sein, auch nachts. Auf die unzähligen Nächte in unserem gemeinsamen Bett folgten die langen Jahre, als jeder in seinem eigenen Zimmer schlief. Schon lebte jeder in der eigenen Wohnung, hatte eigene Schränke für die eigenen Sachen, machte sich eigene Gedanken und ertrug, so gut es ging, seine Angst allein.
    Länger als ich es wahrhaben wollte, hatte ich mich gegen das Alleinsein gesträubt, so schien es mir rückblickend. Seit ich mit neunzehn zu Hause ausgezogen war, hatte ich zusammengenommen kein Vierteljahr lang allein gelebt. Ich war in eine WG gezogen, dann in eine andere, und von dort in eine dritte. Mitbewohner kamen und gingen. Eine Zeit lang hatte ich mit drei Freunden zusammengewohnt, später waren es zwei, dann nur noch einer. Als der letzte zu seiner Freundin zog, sah auch ich mich nach einer Mitbewohnerin um.
    Währenddessen war Ira auf Reisen. Über zehn Jahre lang, bis sie dreißig war, reiste meine Schwester durch die Welt, lernte Sprachen und hatte mal hier einen Freund und mal dort. Für eine Weile wohnte sie bei Hector in Rio, dann bei Dave in Brooklyn, bevor sie wie ein großer grauer Zugvogel weiterflog nach St. Petersburg oder Netanja. Sie beschrieb mir einen Liebhaber, wenn ich ihr dafür erzählte, wen ich gerade anhimmelte. Erst waren es Kommilitoninnen, später Kolleginnen – eine Malerin, eine Clipkünstlerin, eine junge Slowenin mit eigenem Blumenladen, der kaum größer war als ein Ballonkorb. Mal wohnte ich bei einer Frau, mal zog eine Freundin zu mir. Gemeinsam umgezogen war ich nie. »Nestbauschaden« nannte das unsere Mutter.
    Ira reiste durch Israel, um Hebräisch zu lernen, und wurde schwanger. In Hamburg heiratete ich meine Nachbarin. Ira kam aus Netanja zurück und brachte einen Sohn zur Welt. Ich ließ mich scheiden. Aber meine frühere Frau blieb in der Nähe, Saskia und ich blieben Freunde. Aus Angst umeinander wurden wir wieder zu Nachbarn.
    Rückblickend schien mir außerdem, dass im Gegensatz zu mir meine Schwester sehr wohl versucht hatte, sich gegen ihre Angst zu wappnen. Oder waren ihre Reisen eine Flucht gewesen? Wovor? Vor wem? Was uns peinigte, schienen wir entweder in uns zu tragen oder waren es selbst. Beide nahmen wir es überallhin mit, ihm entkommen, das wusste wir, konnten weder sie noch ich.
    Irgendwann wohnte sie in einem eigenen Haus. Es war kein schönes Haus, nichts daran war besonders, außer dass es in den letzten Jahren vor ihrem Tod der Mittelpunkt ihrer Welt war. In ihrem Haus, sagte Ira, stehe zu jeder Sekunde alles auf dem Spiel, bei Tag und auch auch in der Nacht.
    Allein mit dem Kind, fühlte sie sich in dem Haus eingemauert. Bei Wind und Wetter – immer! – kamen um kurz nach halb zwei die Nachbarskinder aus der Schule und fuhren mit Fahrrädern durch die Siedlung, so wie sie selber vor zwanzig Jahren keine zehn Kilometer entfernt durch Schnelsen gefahren war.
    Moos überwucherte den Garten, und schon im März kamen die Mücken. Ab Mitte Juni bellte der kleine Hund von nebenan gegen die Terrassenmarkise an, sobald sie herausgekurbelt wurde. Im Hochsommer schob sie den Buggy mit dem Jungen auf trostlose Spielplätze. Im Herbst stand sie an der Terrassentür und starrte durch das Gitter des Regens auf eine bemooste Pergola und lauter Thujen. Zwei Fledermäuse gaukelten durch die Dämmerung. Manchmal bekam sie Lust, den Rasen umzugraben, die schwarze Erde ans Licht zu holen, aber tat es nicht. Es wurde kalt, und in seinem Kellertank tropfte das Heizöl, im Kinderzimmer, im Vorgarten, in der Garage, wo immer man stand und horchte, überall war es zu hören.
    Einmal hatte sie mich gebeten, ihr Haus zu zeichnen. An einem Wintertag standen wir im Garten, und sie zeigte mir, wie sie sich das Bild vorstellte: Das Haus sollte wegfliegen. Es sollte aus lauter großen grauen Zugvögeln bestehen, die alle wie sie aussahen und davonflatterten.
    Ira nannte ihr Haus den Versteinerungszustand.
    Das Haus war nicht groß. Aber ihre Angst war es, und anders als meine wurde sie größer. Auf ihren Reisen hatte sich die Beklemmung gelöst, pulverisiert, in alle

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