Die Macht des Schmetterlings
Vaters fest, als die Wagen der Achterbahn ›Junior Dragon‹ langsam die Bahn hinaufkrochen. Die Zähne der Wagen klirrten, als sie sich in die Schienen bissen.
Dies war die kleinste Achterbahn im ganzen Park, wesentlich harmloser als der brutal wirkende Tormentor, der sich zu ihrer Rechten erhob, aber für das kleine Mädchen war die Steigung dennoch furchterregend steil. Mit jeder Sekunde wuchs das köstliche Gefühl der Erwartung, als die Wagen sich weiter auf den höchsten Punkt zubewegten, wo die wirkliche Aufregung erst beginnen würde.
»Wie fühlst du dich, Schatz?«, fragte Dean.
»Ich kann nicht hingucken!« Sophie presste sich die Hand auf die Augen, während der Park unter ihnen immer tiefer sank. Dann riskierte sie einen Blick und begann vor Nervosität unkontrolliert zu kichern, als sie feststellte, dass sie sich höher befanden als die meisten Gebäude.
Die Wagen erreichten den höchsten Punkt der Steigung. Hierblieben sie für ein oder zwei Sekunden stehen, dann schlichen sie über den Gipfelpunkt vorwärts und brachten die Kessel unter sich zum Rauchen.
Und dann schossen sie vorwärts, der Wagen raste die Schienen hinunter, und Sophie stieß einen irrsinnigen Schrei des Vergnügens aus.
75
Mount Everest, Nordwand, Nepal
Kuni streifte ihren Rucksack ab, drehte sich um und ließ sich in den Schnee zurückfallen, damit sie den Anruf im Sitzen entgegennehmen konnte.
»Kuni? Ich bin es.«
Als ihr Körper auf dem Abhang auftraf, setzte dies eine kleine Erschütterung in Gang, die sich über die Oberfläche des Eises fortpflanzte. Die entscheidenden Schichten der Eisdecke reagierten auf die allerkleinste Bewegung, und der Aufprall ihres Körpers reichte aus, um eine Lawine auszulösen. Es geschah so schnell, dass Kuni innerhalb eines Augenblicks die Füße weggerissen wurden. Sofort begann ihr Körper, den steil gebogenen Abhang hinunterzugleiten, und die oberste Schicht der Eiskruste brach auf und wirbelte um sie herum, während sie schwer auf ihre Seite stürzte.
Sie griff nach ihrem Eispickel, doch ihre Finger verfehlten das lebenswichtige Werkzeug knapp. Immer schneller stürzte sie den Abhang hinunter.
Innerhalb von Sekunden wirbelte sie ohne jede Kontrolle in die Tiefe, ihre Arme schlugen um sich, ihre Hände versuchtenverzweifelt, sich in die Oberfläche zu krallen und den Fall dadurch aufzuhalten. Unter ihr begann der Hang sich aufzulösen, die Eisblöcke wurden zu Pulver, das sich in einer Wand aufbauschte wie die Schaumkrone auf einer brechenden Welle. Kuni fand sich in einem weißen Wirbelsturm aus Schnee wieder, und als sie schrie, füllte das eisige Pulver ihre Lungen.
76
Terminal eins, Flughafen Heathrow
Tina unternahm gerade den fünften Versuch, nach Malawi durchzukommen, als ein seltsamer Vorgang ihre Aufmerksamkeit erregte. Hätte sie ihren Kopf nicht plötzlich gedreht, um einen Blick auf ihre Uhr zu werfen, wäre es ihr entgangen.
Ein Mann in einem dunklen Mantel war an der Telefonzelle neben ihr vorbeigegangen, wo der japanische Geschäftsmann in ein Gespräch vertieft war. Während er so beschäftigt war, blieb der Mann im Mantel wie zufällig stehen, um dann eine der Taschen aufzuheben, die auf dem Boden hinter den Füßen des Japaners abgestellt worden waren. Es war perfekt gemacht. So perfekt gemacht, musste Tina eingestehen, dass sie einen Augenblick lang versucht war, zu glauben, die Tasche gehöre tatsächlich dem Mann in dem dunklen Mantel.
Dann aber sah sie, wie die Tasche in einer größeren Einkaufstasche aus Plastik verschwand und wie der Täter selbstbewusst davonging. Das war ohne Zweifel merkwürdig. Weshalb sollte der Mann im Mantel seine Tasche in eine andere Tasche stecken? Und warum machte er es so schnell? Tina tippte dem Japaner auf die Schulter.
»Fehlt Ihnen vielleicht eins Ihrer Gepäckstücke?«, fragte sie ihn.
Verstört starrte der japanische Geschäftsmann sie an, dann drehte er sich um. »Ja! Haben Sie gesehen, dass jemand die Tasche weggenommen hat?«
»Das habe ich. Genauer gesagt, ich sehe ihn immer noch.«
»Wer ist es?«
»Der mit dem dunklen Mantel.«
»He!« Ren rannte hinter dem Dieb her. »He, Sie!«
77
Mount Everest, Nordwand, Nepal
Kuni fühlte, wie die Welt um sie versank. Sie durchlebte einen Augenblick völligen Entsetzens, während sie sich vorstellte, wie die Lawine sie geradewegs von der Oberfläche des Mount Everest herunterfegte. Dann erfolgte der krachende Aufprall von Knochen auf Eis, und sie kam abrupt zum
Weitere Kostenlose Bücher