Die Macht des Schmetterlings
einen Vorschlag: Wir essen jetzt zu Mittag, und dann nehmen wir uns den Riesen vor, einverstanden?«
»Glaubst du, ich bin groß genug?«
»Na und ob! Gar kein Problem, du bist doch fast das größte Mädchen in deiner Klasse.«
Damit war Sophie zufrieden, und ein paar Minuten später befanden sie sich bereits im Restaurant. Shelley stellte sich für Hamburger an, und Dean machte sich mit Sophie auf die Suche nach einem Sitzplatz. Kaum hatten sie einen freien Tisch gefunden, warf er einen Blick auf seine Uhr und zog sein tragbares Radio heraus. Er hatte den Sender Radio Five gerade eingestellt, da kündigte der Kommentator die Pferde für das Rennen um zwölf Uhr dreißig in Newbury an.
»Was hörst du denn da, Dad?«
»Rennpferdchen.«
104
An Bord des Fluges 492 nach Moskau
Tina hastete durch die Gangway ins Flugzeug, wo sie ihren Kopiloten Graham Ravenscroft mit Handschlag begrüßte. »Es tut mir so leid, dass ich spät dran bin«, sagte Tina und nahm im Kapitänssitz Platz, wobei sie ihr Handy ausschaltete. »Es war einfach einer von diesen verrückten Vormittagen.«
»Da bist du nicht die Einzige«, erwiderte der Kopilot. »Mein Weg hierher war auch die Hölle. Der Heathrow-Express ist ausgefallen, und ich musste die verdammte U-Bahn nehmen.«
»Wie sieht es mit unserer Startzeit aus?«
»Nun ja, provisorisch hatten sie uns schon mal für zwölf Uhr dreißig eingeteilt. Aber sie wollten die Zeit nicht bestätigen, solange wir nicht beide an Bord waren. Ich sende mal eine neue Anforderung.«
Der Kopilot stellte den Kontakt mit dem Kontrollturm her und zog eine Grimasse, als er die Nachricht erhielt.
»Zwölf Uhr fünfzig«, sagte er.
»Verdammt.«
Tina wusste, dass sie ihre Startzeit verpasst hatten, weil sie den Anruf nach Malawi getätigt hatte. Wären sie ein paar Minuten früher im Cockpit gewesen, hätten sie vor dem Abflug zwanzig Minuten gespart. Dennoch war es richtig gewesen, ihrem Mann den Gefallen zu tun – und wenn das Leben des kleinen Kindes gerettet werden konnte, war sie zufrieden.
»Na dann an die Arbeit.« Tina nahm das Flugdossier für Moskau aus ihrer Flugtasche, und die beiden Piloten begannen mit ihren Prüfungen zur Flugvorbereitung.
Tina unterzeichnete das Ladungsformular, und der Flugdienstberater verließ das Cockpit. Im selben Moment meldete sich der Erste Steward und gab bekannt: »Wir haben einen fehlenden Passagier, Kapitän. Eine Nachbuchung unter dem Namen Lawton.«
»Wir haben unsere Startzeit verloren«, erwiderte Tina. »Du kannst ihm noch ein paar Minuten Zeit geben.«
105
Nordwand des Mount Everest, Nepal
Die beiden deutschen Bergsteiger ruhten sich eine Weile aus, tranken aus ihren Thermosflaschen und teilten sich einen Energieriegel, während sie die Sache durchdachten.
»Was meinst du?«, fragte Josef.
»Wir können sie nicht hier zurücklassen«, antwortete Bernhard. »Wenn sie dort oben ist, müssen wir sie finden.«
Auch wenn er hundemüde war, knurrte Josef seine Zustimmung. Es gab einen unausgesprochenen Ehrenkodex unter den Bergsteigern: Kein verletzter Steiger durfte allein an einem Hang zurückgelassen werden, wenn auch nur die kleinste Chance auf eine Rettung bestand. Außerdem hatten sie Kuni in den Wochen, in denen sie mit ihr aufgestiegen waren, ins Herz geschlossen, und sie wollten ihr Bestes für die junge japanische Bergsteigerin tun.
»Wie viel Sauerstoff hast du noch?«
Bernhard prüfte sein Messgerät. »Noch genug für zwei weitere Stunden.«
Josef stellte das Funkgerät wieder ein.
»Hallo, hier spricht Josef. Wir gehen wieder nach oben. Aberwir können nur eine begrenzte Zeit lang suchen, verstehen Sie das?«
»Vielen, vielen Dank!« Die Erleichterung in Tonys Stimme war spürbar. »Ich sende fünf unserer besten Sherpa-Steiger als verstärkendes Bergungsteam hinterher. Sie brechen jetzt mit einer Tragbahre, medizinischer Ausrüstung, Lebensmitteln und Taschenlampen vom Lager fünf aus auf. Halten Sie uns auf dem Laufenden, ja?«
»Alles klar. Ende.«
Die beiden deutschen Bergsteiger rappelten sich auf die Füße und schnallten sich ihre Rucksäcke auf. Dann begannen sie, die Pyramide des Gipfels erneut zu ersteigen, während ihre Körper bei jedem Schritt protestierten.
106
Flughafen von Lilongwe, Malawi, Ostafrika
Die einmotorige Cessna 150 rollte ans Ende der Startbahn von Lilongwe. Laut schnitt der Propeller durch die feuchtwarme afrikanische Luft. Der Pilot nahm die letzten Überprüfungen vor, bestätigte,
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