Die Macht des Zweifels
Kiefermuskulatur anfängt zu schmerzen. »Kannst du mir deinen vollständigen Namen sagen, Rachel?«
»Rachel Elizabeth Marx.«
»Wie alt bist du?«
»Fünf.« Sie hält die Finger einer Hand hoch.
»Hast du deinen Geburtstag schön gefeiert?«
»Ja.« Rachel zögert, fügt dann hinzu: »Ich war eine Prinzessin.«
»Das war bestimmt lustig. Hast du auch Geschenke bekommen?«
»Ja. Eine schwimmende Barbie. Die kann Rückenschwimmen.«
»Mit wem wohnst du zusammen, Rachel?«
»Mit meiner Mommy«, sagt sie, aber ihre Augen huschen zum Tisch der Verteidigung.
»Wohnt sonst noch jemand bei euch?«
»Nicht mehr.« Ein Flüstern.
»Hat früher noch jemand bei euch gewohnt?«
»Ja.« Rachel nickt. »Mein Daddy.«
»Gehst du schon zur Schule, Rachel?«
»Ich bin in der Klasse von Miss Montgomery.«
»Habt ihr da irgendwelche Regeln?«
»Ja. Keinen hauen und die Hand heben, wenn man was sagen will, und nicht auf der Rutsche rumklettern.«
»Was passiert, wenn du dich in der Schule nicht an die Regeln hältst?«
»Dann wird meine Lehrerin böse.«
»WeiÃt du, was der Unterschied ist zwischen der Wahrheit und einer Lüge?«
»Die Wahrheit ist, wenn man sagt, was passiert ist, und eine Lüge ist, wenn man was erfindet.«
»Genau. Und hier im Gericht haben wir die Regel, daà du die Wahrheit sagen muÃt, wenn wir dir Fragen stellen. Du darfst nichts erfinden. Verstehst du das?«
»Ja.«
»Wenn du deine Mom anlügst, was passiert dann?«
»Sie ist böse auf mich.«
»Kannst du mir versprechen, daà alles, was du jetzt sagst, wahr ist?«
»Ja.«
Ich atme tief durch. Die erste Hürde ist genommen. »Rachel, der Mann da drüben mit dem weiÃen Haar, das ist Mr. Carrington. Er möchte dir auch ein paar Fragen stellen. Meinst du, du kannst mit ihm reden?«
»Okay«, sagt Rachel, aber sie wird jetzt unruhig. Das ist der Teil, auf den ich sie nicht vorbereiten konnte. Der Teil, bei dem ich selbst nicht wuÃte, was kommen würde.
Fisher steht auf, triefend vor Selbstsicherheit. »Hallo, Rachel.«
Sie kneift die Augen zusammen. Ich liebe dieses Kind. »Hallo.«
»Wie heiÃt denn dein Bär?«
»Das ist ein Nilpferd «, sagt Rachel mit der Herablassung, zu der nur ein Kind fähig ist, wenn ein Erwachsener den Eimer anstarrt, den es auf dem Kopf trägt, und nicht erkennt, daà das ein Astronautenhelm ist.
»WeiÃt du, wer neben mir an dem Tisch dort drüben sitzt?«
»Mein Daddy.«
»Hast du deinen Daddy in letzter Zeit gesehen?«
»Nein.«
»Aber du weiÃt noch, wie das war, als du und dein Daddy und deine Mommy alle zusammen in einem Haus gewohnt habt?« Fisher hat die Hände in den Taschen. Seine Stimme ist weich wie Samt.
»Ja.«
»Haben deine Mommy und dein Daddy sich damals oft gestritten?«
»Ja.«
»Und dann ist dein Daddy ausgezogen?«
Rachel nickt, und dann fällt ihr ein, daà ich gesagt habe, sie muà die Antwort immer aussprechen. »Ja«, murmelt sie.
»Nachdem dein Daddy ausgezogen war, da hast du jemandem erzählt, daà du etwas erlebt hast ⦠etwas mit deinem Daddy.«
»Ja.«
»Du hast jemandem erzählt, daà dein Daddy dich da unten berührt hat?«
» Ja .«
»Wem hast du das erzählt?«
»Mommy.«
»Was hat deine Mommy getan, als du ihr das erzählt hast?«
»Geweint.«
»WeiÃt du noch, wie alt du warst, als dein Daddy dich da unten berührt hat?«
Rachel beiÃt sich auf die Lippen. »Da war ich noch ganz klein.«
»Bist du da schon in den Kindergarten gegangen?«
»Weià nicht.«
»WeiÃt du noch, ob es drauÃen warm oder kalt war?«
»Ich, äh, ich weià nicht mehr.«
»WeiÃt du noch, ob es drauÃen dunkel war oder hell?«
Rachel fängt an, auf ihrem Stuhl zu wippen, schüttelt den Kopf.
»War deine Mommy zu Hause?«
»Weià nicht«, flüstert sie, und mein Herz krampft sich zusammen. Das ist der Punkt, an dem ich sie verlieren werde.
»Du hast gesagt, du hast gerade Franklin geguckt. War das im Fernsehen oder ein Video?«
Mittlerweile sieht Rachel Fisher gar nicht mehr an, ihn nicht und auch keinen von uns. »Weià nicht.«
»Das macht nichts, Rachel«, sagt Fisher ruhig.
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