Die Macht des Zweifels
»Manchmal kann man sich nicht so gut erinnern.«
Am Tisch der Anklagevertretung verdrehe ich die Augen.
»Rachel, hast du heute morgen, bevor du ins Gericht gekommen bist, mit deiner Mommy geredet?«
Endlich: Etwas, das sie weiÃ. Rachel hebt den Kopf und lächelt, stolz. »Ja!«
»War das heute das erste Mal, daà du mit deiner Mommy darüber gesprochen hast, daà du hier ins Gericht muÃt?«
»Nein.«
»Hast du Nina schon früher getroffen?«
»Ja.«
Fisher lächelt. »Wie oft hast du denn schon mit ihr gesprochen?«
»Ganz oft.«
»Ganz oft. Hat sie dir erzählt, was du sagen sollst, wenn du in diesem kleinen Kasten da sitzt?«
»Ja.«
»Und hat sie dir gesagt, daà du sagen sollst, daà dein Daddy dich angefaÃt hat?«
»Ja.«
»Hat Mommy dir gesagt, daà du sagen sollst, daà dein Daddy dich angefaÃt hat?«
Rachel nickt, und die Spitzen ihrer Zöpfe tanzen. »Jawohl.«
Langsam klappe ich meine Fallakte zu. Ich weiÃ, worauf Fisher hinauswill, was er bereits erreicht hat. »Rachel«, sagt er, »hat deine Mommy gesagt, was passieren wird, wenn du heute hier sagst, daà dein Daddy dich da unten berührt hat?«
»Ja. Sie hat gesagt, daà sie stolz auf mich ist, weil ich so ein braves Mädchen bin.«
»Danke, Rachel«, sagt Fisher und setzt sich.
Zehn Minuten später stehen Fisher und ich vor dem Richter in seinem Amtszimmer. »Mrs. Frost, ich will nicht behaupten, daà Sie dem Kind Worte in den Mund gelegt haben«, sagt der Richter. »Ich behaupte jedoch, daà die Kleine glaubt, sie tut das, was Sie und ihre Mutter von ihr erwarten.«
»Euer Ehren â «, setze ich an.
»Mrs. Frost, das Kind ist seiner Mutter sehr viel mehr verbunden als seiner Verpflichtung als Zeugin. Unter diesen Umständen könnte ohnehin jede mögliche Verurteilung, die die Anklagevertretung erreicht, angefochten werden.« Er sieht mich an, nicht ohne Mitgefühl. »Vielleicht sieht die Sache in sechs Monaten ja schon wieder anders aus, Nina.« Der Richter räuspert sich. »Ich befinde die Zeugin für nicht verhandlungsfähig. Hat die Anklagevertretung noch einen weiteren Antrag in diesem Verfahren?«
Ich spüre Fishers Blick auf mir ruhen, mitfühlend, nicht triumphierend, und das bringt mich in Rage. »Ich muà mit der Mutter und dem Kind sprechen, aber ich denke, wir werden einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens ohne Anerkennung einer Rechtspflicht stellen.« Das bedeutet, daà wir die Anklage erneut erheben können, wenn Rachel älter ist. Natürlich ist Rachel dann vielleicht nicht mehr mutig genug. Oder ihre Mutter findet, es ist besser, wenn ihre Tochter in die Zukunft blickt, als daà sie die Vergangenheit noch einmal durchlebt. Der Richter weià das, und ich weià das, und wir können beide nichts dagegen tun. So funktioniert das System nun mal.
Fisher Carrington und ich verlassen das Zimmer. »Danke sehr, Kollegin«, sagt er, und ich antworte nicht. Wir gehen in verschiedene Richtungen, zwei Magneten, die sich gegenseitig abstoÃen.
Ich bin aus folgenden Gründen wütend: 1. Ich habe verloren. 2. Obwohl ich natürlich auf Rachels Seite stand, bin ich jetzt die Böse. SchlieÃlich war ich es, die sie dazu gebracht hat, die Anhörung über sich ergehen zu lassen, und jetzt war alles für die Katz.
Doch nichts von alledem zeigt sich auf meinem Gesicht, als ich mich vorbeuge, um mit Rachel zu sprechen, die in meinem Büro wartet. »Du warst tapfer heute. Ich weiÃ, daà du die Wahrheit gesagt hast, und ich bin stolz auf dich, und deine Mom ist stolz auf dich. Und das Beste ist, du hast deine Sache so gut gemacht, daà jetzt für dich alles erledigt ist.« Ich blicke ihr bewuÃt in die Augen, als ich das sage, damit es auch zu ihr durchdringt, ein Lob, das sie mitnehmen kann. »Aber jetzt muà ich noch kurz mit deiner Mom sprechen, Rachel. Kannst du drauÃen mit deiner Grandma warten?«
Miriam verliert die Beherrschung, noch ehe Rachel die Tür ganz geschlossen hat. »Was ist da drin passiert?«
»Der Richter hat Rachel für nicht verhandlungsfähig befunden.« Ich schildere ihr die Aussage, die sie nicht hören durfte. »Das bedeutet, wir können Ihrem Exmann nicht den Prozeà machen.«
»Und wie soll ich sie dann schützen?«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher