Die Macht
blieb ihm nun einmal nichts anderes übrig. Das Risiko, sich unbewaffnet in irgendeiner italienischen Stadt zu bewegen, wäre ihm einfach zu groß gewesen. Er hatte vor, es ihr zu sagen, wenn sie sich in ihrem Hotel in Mailand einquartiert hatten. Es wäre wohl nicht ratsam gewesen, es ihr vorher zu sagen, weil sie dann beim italienischen Zoll sicher ein wenig nervös gewesen wäre. Wie die meisten Reporter war auch Anna eine gute Schauspielerin, wenn sie an irgendeinem Bericht arbeitete, doch ihrem Freund zu helfen, eine Waffe durch den Zoll zu schmuggeln, von der sie noch dazu gar nicht wollte, dass er sie trug, war doch etwas anderes. Nein, sagte sich Rapp, es war richtig, es ihr nicht gleich zu sagen. Außerdem hatte er noch einen anderen, deutlich kleineren Gegenstand im Gepäck, der sie hoffentlich viel mehr interessieren würde.
Er hatte ihn doppelt so viel gekostet, wie er angenommen hatte – doch als Rapp ihn zum ersten Mal sah, wusste er sofort, dass er für sie gemacht war. Der klassisch-schlicht geformte Ring trug einen Diamanten in einer Tiffany-Fassung. Sie würde dahinschmelzen, wenn sie ihn sah – und er würde jeden Augenblick genießen. Der Ring war in einer verborgenen Innentasche seiner Lederjacke verwahrt. Bei dem Gedanken an das schöne Stück strich er kurz mit dem Finger über das Innenfutter der Jacke und spürte die kleine Ausbuchtung. Er war immer noch da, wo er sein sollte.
Rapp blickte erneut auf die Uhr. Er konnte es kaum noch erwarten, dass sie endlich kam. Es überraschte ihn selbst, wie eilig er es hatte, nach Italien zu kommen. Er hatte den ganzen Vormittag daran denken müssen, dass nun tatsächlich ein neues Leben für ihn beginnen würde. Das war der entscheidende Augenblick, nach dem er sich insgeheim schon so lange gesehnt hatte.
Er hörte in der Ferne Reifen quietschen und blickte auf die lange Zufahrt hinunter. Wahrscheinlich bog sie gerade in die Straße zu seinem Haus ein, dachte er lächelnd. Er war es mittlerweile gewohnt, voller Sorge auf sie zu warten und zu hoffen, dass ihr nichts zugestoßen war. Da war immer die Angst, dass irgendein Dämon aus seiner Vergangenheit auftauchen könnte, um sich an ihm zu rächen, indem er ihm das Kostbarste raubte, das er besaß – die Angst, dass irgendein Verrückter, der sie im Fernsehen gesehen hatte, sich in den Kopf setzte, dass er Anna haben wollte.
Anna lachte nur, wenn er ihr wieder einmal nahe legte, doch anzurufen, wenn sie sich verspätete. Es tat ihr zwar irgendwie Leid, doch beim nächsten Mal kam sie prompt wieder zu spät. Sie brachte als Rechtfertigung vor, dass sie eben immer viel zu tun habe und deshalb unmöglich pünktlich sein könne. Rapp war nahe daran gewesen, ihr zu sagen, dass das die dümmste Ausrede war, die er je gehört hatte – doch im vergangenen Jahr hatte er gelernt, dass es ratsam war, sich gut zu überlegen, was er sagte, oder noch besser, ganz den Mund zu halten. Im Recht zu sein hieß noch lange nicht, dass es klug war, immer darauf zu pochen.
Er würde ihr schon noch verständlich machen, wie wichtig es war, pünktlich zu sein oder wenigstens anzurufen. Es ging schließlich um ihre eigene Sicherheit und auch darum, dass er nicht irgendwann vor Sorge verrückt wurde. Es gab wohl Menschen, die eine etwas zu blühende Phantasie hatten, was zusammen mit einer gewissen Paranoia ziemlich problematisch werden konnte. Doch bei Rapp war es nicht so, dass er sich etwas einbildete; seine Befürchtungen waren durchaus real. Er hatte lange genug an vorderster Front gekämpft, um zu wissen, wozu Feinde imstande waren. Er hatte gesehen, wie sie, ohne mit der Wimper zu zucken, unschuldige Frauen und Kinder ermordeten. Rapp hielt genau das für den großen Unterschied zwischen diesen Leuten und ihm selbst. In all den Jahren, in all den Operationen, die er durchgeführt hatte, war es nicht ein einziges Mal vorgekommen, dass er einen unschuldigen Zivilisten getötet hätte. Er hatte immer ganz gezielt zugeschlagen, mit dem Messer oder der Pistole, und in einigen wenigen Fällen auch mit Sprengstoff. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass keine Unschuldigen durch seine Hand ums Leben gekommen waren; wahrscheinlich, so dachte er sich, war das der Grund dafür, dass er bei allem, was er getan hatte, nachts noch schlafen konnte.
Die Reifen quietschten erneut, und im nächsten Augenblick tauchte Rapps schwarzer Volvo S80 in der Zufahrt auf. Lächelnd schüttelte er den Kopf, als er seine zukünftige Frau zum Haus
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