Die Macht
Galleria Vittorio Emanuele II war eine vierarmige Passage zwischen Domplatz und Scala, eine edle Straße unter Glas, die von einer Vielzahl von Geschäften gesäumt war.
Rosenthal betrat eine Buchhandlung und kaufte die Londoner Times. Er hielt sich einige Augenblicke im vorderen Bereich des Ladens auf, um zu sehen, ob ihm vielleicht jemand gefolgt war, ehe er das Gebäude am Nordende verließ und die Piazza della Scala überquerte. Am anderen Ende des Platzes lehnte er sich gegen einen Laternenpfahl und tat so, als würde er die Zeitung lesen. Wenige Minuten später hielt ein kastanienbrauner Fiat neben ihm an, und Rosenthal stieg ein.
Es war der Mann vom Flughafen, der den Wagen lenkte. Er ordnete sich wieder in den fließenden Verkehr ein und sagte: »Es ist dir niemand gefolgt.«
»Gut. Und die Frau?«
»Sie ist in ihrem Büro. Yanta ist ihr heute früh zur Arbeit gefolgt. Sie ist um neun Uhr im Modehaus angekommen und immer noch dort.«
»Was ist mit ihrer Wohnung?«
»Wir wollten auf dich warten, bevor wir etwas unternehmen.«
Rosenthal nickte. Der Mann hinter dem Lenkrad hieß Jordan Sunberg. Er hatte schwarz gelocktes Haar und sah mit seinem Vollbart zehn Jahre älter aus als Rosenthal; in Wirklichkeit war er zwei Jahre jünger. Die beiden gehörten zu Freidmans besten Agenten und hatten in den vergangenen Jahren oft zusammengearbeitet. »Hast du alles besorgt, worum ich dich gebeten habe?«
»Ja«, antwortete Sunberg, »es ist alles in der Wohnung.«
Rosenthal sah auf die Uhr. »Gut. Wir machen es gleich heute Abend.«
15
Rapp betrachtete Anna, wie sie in der Mitte des wunderschönen Zimmers mit ausgestreckten Armen herumwirbelte und zu der gewölbten, wunderbar bemalten Decke der einstigen Klosterzelle aus dem fünfzehnten Jahrhundert hinaufblickte. Sie konnte nicht glauben, dass das tatsächlich ein Hotelzimmer war und nicht ein Museum. Ihre Begeisterung bereitete Rapp große Freude. Während er ihr zusah, wie sie sich ausgelassen im Kreis drehte, überlegte er, wie sie wohl als junges Mädchen gewesen sein mochte. Er verspürte eine kurze Traurigkeit angesichts der Tatsache, dass er so viel von ihrem Leben versäumt hatte. Es war ihm bewusst, dass es ein absurder Gedanke war; sie hatten einander unmöglich früher begegnen können. Sie war in Chicago aufgewachsen, er in Virginia. Und wenn sie sich doch getroffen hätten, so wären sie mit ziemlicher Sicherheit heute kein Paar.
Anna ging quer durch das Zimmer und trat auf den kleinen Balkon hinaus, von wo man den Innenhof überblickte. Mitch folgte ihr hinaus und legte von hinten die Arme um ihre Taille. Sie standen eine Weile nur da und blickten auf den sorgsam gepflegten Hof hinunter. Man hatte das Gefühl, dass jeder Baum, jeder Busch, jeder Tisch und jeder Sonnenschirm genau dort stand, wo er hingehörte.
Anna hob ihre linke Hand und berührte Mitchs Gesicht. Dann drehte sie sich zu ihm um und gab ihm einen innigen Kuss. »Ich liebe dich so sehr«, sagte sie, als sich ihre Lippen voneinander lösten.
»Ich liebe dich auch.« Er drückte sie eng an sich und küsste ihren Hals. Eine Minute später führte er sie zu dem King-Size-Bett hinein.
»Was machst du denn da?«, fragte Anna verspielt.
»Ich versuche dich zu verführen«, antwortete er und küsste sie weiter, während er mit ihr ans Bett trat.
Anna griff nach seinen Händen, riss sich los und stieß ihn auf das Bett. Mitch ließ sich bereitwillig fallen und landete bequem mitten auf dem großen Bett. Mit der ausgestreckten Hand forderte er Anna auf, zu ihm zu kommen. Zu seiner großen Enttäuschung stemmte sie die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf. »Komm doch, Liebling«, bettelte er.
»Nein. Wir sind nur eineinhalb Tage in Mailand – und die werde ich nicht im Bett verbringen.«
»Warum denn nicht?«
»Frag nicht so dumm.«
»Ach, komm schon«, versuchte er sie zu überreden, »es dauert ja nicht lang.«
»Bei dir vielleicht.«
Rapp lachte. »Bitte … sei lieb.«
»Es geht nicht darum, lieb zu sein oder nicht. Ich sehe das einfach nur realistisch. Wenn ich jetzt zu dir ins Bett komme, dann schlafen wir miteinander, und danach machst du erst einmal ein Nickerchen. Aber ich will jetzt nicht schlafen. Ich will mir die Stadt ansehen.« Sie drehte sich um und ging ins Badezimmer. »Außerdem bist du immer besser, wenn ich dich ein Weilchen warten lasse.«
Rapp starrte zu der kunstvoll bemalten Decke hinauf. »Ich bräuchte eben mehr Übung«, sagte er und erhob
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