Die Macht
nur wenige Agenten kamen, und für eine Frau geradezu unglaublich. Rosenthal war jedoch auf dem Flug von Rom nach Mailand zu dem Schluss gekommen, dass sein Chef es etwas anders gemeint haben musste: Diese Frau hat mitgeholfen, mehr Männer zu töten als wir beide zusammen – das war es wohl, was Freidman hatte sagen wollen.
Schließlich war sie heroinabhängig, als Freidman sie rekrutierte. In der Akte stand, dass sie in einer bürgerlichen Umgebung in Italien aufgewachsen war. Da war nichts, was die Annahme nahe gelegt hätte, dass sie ein hoch qualifizierter Killer war. Nein , dachte Rosenthal schließlich, sie ist bestimmt nur eine Frau, die sich aufgrund ihrer optischen Vorzüge für bestimmte Einsätze angeboten hat und die nun wohl ein bisschen zu viel geplaudert hat. Entweder das, oder sie hat einmal zu oft eine Extraprämie von Freidman verlangt. Der Gedanke ließ Rosenthal zusammenzucken.
Er beschloss, dass es besser war, seine Neugier im Zaum zu halten. Freidman hatte ihm aufgetragen, die Frau zu beseitigen, und das genügte ihm. Was sie getan hatte, spielte keine Rolle. Rosenthal war schon oft für Freidman in die Schlacht gezogen und würde das auch weiterhin tun, ohne Fragen zu stellen. Der Mann war ein wahrer Patriot, und Rosenthal würde ihn nicht im Stich lassen. Bis spätestens Mitternacht würde er seinen Auftrag erledigt haben. Israel würde ein Problem weniger am Hals haben, und die Welt würde nie auf den Gedanken kommen, dass der Mossad bei der Ermordung eines schönen italienischen Models seine Hand im Spiel hatte.
16
Donatella Rahn stand vor ihrem riesigen Glastisch und studierte eine Serie von Polaroidaufnahmen, die man ihr soeben von einem Fotoshooting hier in der Stadt geschickt hatte. Nachdem sie nun schon einundzwanzig Jahre in diesem Geschäft tätig war – davon zehn Jahre als Model und die folgenden elf Jahre im Modehaus Armani –, wusste sie genau, worauf es ankam. Diese Bilder zeigten jedenfalls deutlich, dass das Shooting nicht so lief, wie man es erwartete. Sie murmelte einen Fluch vor sich hin, als sie daran dachte, wie viele tausend Euro hier vergeudet wurden. Sie würde wohl in ein Taxi steigen und den Leuten Beine machen müssen – anders funktionierte das nun einmal nicht.
Das Modegeschäft lebte einzig und allein von der Leidenschaft. Wenn keine Leidenschaft, kein Feuer im Spiel war, dann war das Ergebnis eine lauwarme Angelegenheit. Die Designer, die Fotografen und Models – alle mussten mit Begeisterung bei der Sache sein, sonst produzierte man bestenfalls Mittelmaß. Und Mittelmaß war für das Modehaus Armani nicht einmal annähernd genug.
Man konnte viel über Donatella Rahn sagen – aber ganz sicher nicht, dass sie ein lauwarmer Charakter gewesen wäre. Sie vereinte in sich die praktische Veranlagung und die Entschlossenheit ihres österreichischen Vaters und die Kreativität und Leidenschaft ihrer italienischen Mutter. Sie hatte lange gebraucht, um mit ihren verschiedenen Charaktereigenschaften klarzukommen und sie sinnvoll einzusetzen. Viele Menschen sahen in ihr einfach nur eine atemberaubende Schönheit, doch in Wahrheit war Donatella eine überaus vielschichtige Persönlichkeit.
Mit ihren achtunddreißig Jahren sah Donatella besser aus denn je, und sie fühlte sich auch so. Sie hatte wohl ein paar Fältchen mehr um die Augen, und ihre Haut hatte nicht mehr den Glanz einer Achtzehnjährigen, doch sie war sich heute ihrer selbst viel mehr bewusst. Dieses Selbstbewusstsein hatte ihr gefehlt, als sie noch als Model gearbeitet hatte, zumindest in den ersten Jahren. Sie war einen Meter achtundsiebzig groß und hatte seidig glänzendes, schwarz gelocktes Haar. Ihre prallen Brüste hatte sie in ihrer Model-Zeit mit ein wenig plastischer Chirurgie in Form bringen lassen, und sie hatte auch später hin und wieder ihren Schönheitschirurgen aufgesucht, um gewisse Problemzonen behandeln zu lassen, doch an ihrem Gesicht hatte sie nie etwas ändern lassen. Ihr Körper war eine perfekte Mischung aus Eleganz und Athletik; sie war längst nicht mehr so abgezehrt und blass wie zu ihrer Zeit als Model. Ihr vom Heroin verseuchter Körper war heute gesünder und kräftiger denn je – kurz gesagt, sie war eine Frau, wie die meisten Männer sie sich wünschten.
Donatellas blendendes Aussehen war umso erstaunlicher, wenn man bedachte, was für ein Leben sie mit Anfang zwanzig geführt hatte. Damals war sie noch leicht zu beeindrucken gewesen, sie machte sich immerzu
Weitere Kostenlose Bücher