Die Macht
hatte; die erste Maschine war noch vor Sonnenaufgang in Tel Aviv gestartet. Nach seinem Treffen mit dem Direktor des Mossad war er sofort darangegangen, sein Team vorzubereiten. Binnen zwei Stunden waren zwei seiner Leute in verschiedenen Flugzeugen nach Mailand unterwegs. Einer der Männer sollte für Waffen und Transportmittel sorgen, während der andere die Aufgabe hatte, das Ziel zu überwachen. Freidman hatte ihm gestattet, eine der Wohnungen des Geheimdienstes in Mailand zu benutzen, obwohl der Mossad offiziell nichts mit der Operation zu tun hatte. Rosenthal hatte Freidman erklärt, dass sie sich andernfalls in einem Hotel einquartieren müssten, was alles andere als ideal gewesen wäre; schließlich musste man davon ausgehen, dass die italienischen Behörden groß angelegte Ermittlungen wegen Donatellas Verschwinden und eventueller Ermordung einleiten würden. Der perfekte Ablauf wäre, die Frau ohne Zeugen töten zu können, doch darauf konnten sie sich nicht verlassen. Es bestand immer die Gefahr, dass sie im Zuge ihrer Operation irgendeinem Nachbarn oder Passanten auffielen und Verdacht erregten. Irgendwann im Zuge der Ermittlungen würde man die Beschreibungen dieser Leute mit dem Bildmaterial der Sicherheitskameras im Hotel vergleichen. Wenn sich hier eine Übereinstimmung ergab, würde man auch das Material der Flughafenkameras überprüfen und so weiter und so fort.
Als Rosenthal das Terminal erreichte, ging er sofort zu den Taxis weiter, wo sich bereits eine Schlange vor ihm gebildet hatte. Als er an die Reihe kam, stieg er in das weiße Taxi ein und sagte in makellosem Italienisch zum Fahrer, dass er ihn ins Grand Hotel bringen solle. Er würde nicht dort wohnen, aber das ging den Fahrer nicht unbedingt etwas an.
Es war ein sonniger Tag, doch zu Rosenthals Bedauern waren die Touristenströme des Sommers, nicht mehr in der Stadt. Es war kurz vor 11.00 Uhr, und die Straßen waren nicht allzu belebt. Er blickte stirnrunzelnd aus dem Fenster des Taxis. Seine frühesten Erfahrungen beim Mossad hatten sich ihm unauslöschlich eingeprägt. Es gab für einen Mossad-Agenten keine gefährlichere Aufgabe, als sich in einem Palästinenserlager zu bewegen. Rosenthals Auftrag war es gewesen, auf feindlichem Territorium die Führer der verschiedenen terroristischen Zellen ausfindig zu machen. Er musste mitten unter den Leuten leben, die er so sehr hasste.
Diese frühen Jahre beim Mossad hatten bei ihm tiefe Wunden hinterlassen. Die Seelenklempner vom Mossad hatten keine Ahnung davon, und auch sonst hatte er mit niemandem darüber gesprochen. Es waren Rosenthals ganz private Dämonen, die ihn immer wieder heimsuchten. Er besaß nicht mehr den Wagemut des Einzelgängers, der ihn früher ausgezeichnet hatte, und operierte nicht mehr gerne allein. Er war nicht mehr der einsame Wolf von früher; heute ging er lieber im Rudel auf die Jagd. Nie mehr wieder würde er in die Palästinenserlager zurückkehren und dort schlaflose Nächte zubringen – in der ständigen Angst, dass er sich im Schlaf vielleicht verraten könnte. Nein, das alles lag hinter ihm. Heute achtete er sehr darauf, dass er bei jeder Operation möglichst günstige Bedingungen vorfand.
So gefiel es ihm zum Beispiel überhaupt nicht, dass sich ihm da draußen auf den Straßen kaum Deckung bot. In den vergangenen vierundzwanzig Stunden hatte Rosenthal die Akte durchgearbeitet, die Freidman ihm mitgegeben hatte.
Es war offensichtlich, dass er eine Version bekommen hatte, aus der einiges herausgestrichen worden war. Rosenthal zweifelte nicht daran, dass der Alte persönlich dafür verantwortlich war – teilweise aus Gründen der Geheimhaltung, aber zu einem guten Teil auch deshalb, damit Rosenthal nicht an dem, was er zu tun hatte, zu zweifeln begann. Rosenthal war trotz seiner Jugend ein erfahrener Agent; er wusste trotz der Streichungen in dieser Akte, dass diese Donatella Rahn viel für Israel getan hatte – doch das war nun einmal die hässliche Seite dieses Geschäfts. Auch wenn man ein noch so wertvoller Agent war, konnte es einem irgendwann passieren, dass man plötzlich zu einer Belastung oder einem Unsicherheitsfaktor wurde.
Als das Taxi zur Galleria Vittorio Emanuele II kam, sagte Rosenthal zum Fahrer, dass sie jetzt nahe genug beim Hotel seien und dass er das letzte Stück zu Fuß gehen wolle. Er zahlte und verließ das Taxi. Rasch blickte er sich um und betrat dann die wunderbare überdachte Straße aus dem neunzehnten Jahrhundert. Die
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