Die Mädchen (German Edition)
ähnlich gehandelt. Nicht, dass er keine Enttäuschung
gespürt hatte, natürlich hatte er das. Es tat sogar verdammt weh. Aber er hatte
Verständnis. Wer wollte schon mit jemandem wie ihm in Verbindung gebracht
werden? Seine Freundin war die einzige, von der er mehr erwartet hatte. Am Tag
nach seiner Verhaftung hatte sie ihn besucht, dann nie wieder.
„Ich denke, es ist besser, wenn wir
uns erst einmal nicht sehen“, hatte sie zu ihm gesagt und sich dabei nicht
getraut, ihm in die Augen zu sehen. „Zumindest nicht, bis ich ausgesagt habe.“
Er hatte Verständnis geheuchelt.
„Ist vielleicht besser so.“
Er hätte sie am liebsten
angebrüllt. Sah sie denn nicht, dass sie ihm damit schadete? Sie konnte ihm nur
helfen, wenn sie vor aller Welt bekundete, dass sie zusammen gehörten. So
schlimm konnte er doch wohl nicht sein, wenn seine Freundin nach wie vor zu ihm
stand. Das wäre es gewesen, was alle Welt gedacht hätte. Wenn sie sich hingegen
von ihm abwandte, war doch alles klar. Dann musste er schuldig sein. Das kam einer
Verurteilung gleich. Doch er sagte nichts. Er wollte es nicht schlimmer machen,
als es ohnehin schon war. Schließlich sollte sie für ihn aussagen.
Im Nachhinein musste er beinahe
über sich selbst lachen. Wie naiv war er denn gewesen? Selbst als er sie die
ersten Verhandlungstage auf dem Flur sah, wenn er in den Gerichtssaal gebracht
wurde, und sie ihn keines Blickes würdigte, hatte er die Hoffnung nicht
aufgegeben. Erst als sie den Zeugenstand betrat und Dinge aussagte, die ihn in
hohem Maße belasteten, wachte er auf. Zunächst hatte er wie versteinert da
gesessen, weil er einfach nicht glauben konnte, was er da hörte. Irgendwann war
er aufgesprungen und hatte geschrieen. Nur mit großer Mühe war er von seinem
Anwalt daran gehindert worden, über die Bänke zu springen, um sich auf sie zu
stürzen.
Er beruhigte sich schließlich, aber
die eindringlichen Worte seines Anwalts und die Warnung des Richters, ihn bei
der nächsten Entgleisung vom Verfahren auszuschließen, nahm er nur wie durch
Watte wahr. Wirklich zugehört hatte er nicht. Er konnte nichts anderes tun, als
sie zu beobachten. Dabei störte ihn weniger, was sie sagte. Es war vielmehr die
Art, mit der sie ihre Aussage machte, die ihn schockierte. Kalt, emotionslos,
distanziert. Diese innerliche Ruhe, die sie ausstrahlte, und die Art, wie sie
ihn komplett ignorierte, ließen ihn erkennen, dass es vorbei war. Ach, was hieß
vorbei, sie richtete ihn hin. Sie machte alle Chancen auf eine milde Strafe
zunichte. Und das war genau das, was sie auch vorhatte. Sie wollte einen klaren
Strich ziehen. Sie wollte ihn wissen lassen, dass er auf nichts zu hoffen
brauchte, wenn er wieder raus kam. Wenn vorher noch jemand Zweifel an seiner
Verurteilung gehabt hatte, nach ihrer Aussage waren die ausgeräumt. Es war
schrecklich, aber irgendwie konnte er sie sogar verstehen. Was hatte er denn
auch erwartet? Er hatte sie verletzt und das zahlte sie ihm jetzt mit barer
Münze heim. Er hatte es nicht anders verdient. Es war klar, dass er sie niemals
wieder sehen würde.
Also war ihm nur seine Mutter
geblieben, denn einen Vater, der ihn besuchen konnte, hatte er nicht. Na ja, so
ganz stimmte das nicht. Natürlich hatte er einen Vater, oder besser einen Erzeuger,
aber den hatte er nie kennen gelernt. Er hatte keine Ahnung, ob sein Vater
überhaupt von seiner Existenz wusste. Er selbst hatte nur bruchstückhafte
Informationen durch Erzählungen seiner Mutter. Und danach war er ein hoffnungsloser
Egoist, der nur an die eigenen Interessen dachte und dem andere Menschen völlig
egal waren. Seine Mutter ließ keinen Zweifel daran, dass er ohne ihn besser
dran war.
Soweit ihm bekannt war, hatte sie
seinen Vater bei der Arbeit kennen gelernt. Es war der Klassiker, der Boss und
seine Sekretärin. Gleich zu Beginn hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben,
dass er mehr als interessiert war, ihr Avancen gemacht, die sie eisern zurückgewiesen
hatte. Sie hatte sich niemals darauf einlassen wollen, aber irgendwann war sie
dann doch schwach geworden. Er hatte sie nach allen Regeln der Kunst
umschwärmt, sie mit Geschenken überhäuft und ihr Versprechungen gemacht, bis er
sie endlich so weit hatte. Nach einem Jahr im Job war sie seine Geliebte
geworden. Er hatte sie im Glauben gelassen, dass sie für ihn wichtiger war als
seine Ehefrau, hatte ihr tausendmal versichert, dass er sie verlassen würde,
und doch war das niemals geschehen.
Sieben lange
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