Die Mädchen (German Edition)
Jahre war sie die
zweite Frau an seiner Seite, von der niemand etwas wissen durfte. Gegen alle
Vernunft hatte sie nach wie vor darauf vertraut, dass sich alles zum Guten wenden
würde und hatte sich mit ihrer Rolle zufrieden gegeben. Auch wenn es wehtat,
dass er die meiste Zeit und vor allem die wichtigen Tage im Jahr, wie Weihnachten,
bei seiner Familie war. Die Zeit, die sie mit ihm verbringen konnte,
entschädigte sie für alles. Kritik mochte sie nicht hören. Gut gemeinte
Ratschläge, ihn in den Wind zu schießen, - mal ehrlich, wenn man verliebt war,
trennte man sich doch relativ schnell und wartete damit nicht mehrere Jahre -
legte sie als Neid aus. Freundschaften zerbrachen daraufhin. Im Nachhinein
verstand seine Mutter es. In allen Gesprächen hatte es sich immer nur darum
gedreht, ob und wann er seine Familie endlich verlassen würde. Wer wollte das
schon ständig hören, zumal wenn er wusste, dass sie sich etwas vormachte und
ohnehin nicht darauf hörte, was man ihr riet?
Dann wurde seine Mutter schwanger
und mit einem Schlag war die Affäre beendet. Sie hatte die Schwangerschaft
nicht geplant, aber das war genau das, was er ihr unterstellte. Sie konnte es
nicht fassen. Er bot ihr Geld für eine Abtreibung an und schlug vor, dass sie
von nun an getrennte Wege gingen. Sie meldete sich krank, schloss sich für eine
Woche in ihrer Wohnung ein und heulte sich die Augen aus dem Kopf. Als sie
keine Tränen mehr hatte und aus Enttäuschung Wut geworden war, war ihr klar,
dass sie von nun an selbst ihr Leben in die Hand nehmen würde. In solch ein
Abhängigkeitsverhältnis würde sie sich nicht mehr begeben. Sie ging zu ihm ins
Büro, nahm das ihr angebotene Geld und kündigte fristlos. Sie hatten nie wieder
Kontakt. Wahrscheinlich glaubte er, sie hatte tatsächlich abgetrieben, aber das
hätte sie niemals fertig gebracht. Nein, sie hatte Christopher zur Welt
gebracht und alles getan, um ihnen ein einigermaßen angenehmes Leben zu
ermöglichen. Es hatte viele Entbehrungen bedeutet, aber seine Mutter hatte es
nie bereut. Bis jetzt.
Wenn er darüber nachdachte, wurde
ihm das Herz schwer. Seine Mutter hatte alles für ihn getan, sich förmlich für
ihn aufgeopfert und er hatte es ihr auf furchtbare Weise gedankt. Sie war es,
die er am meisten von allen enttäuscht hatte und doch war sie ihm als einzige
geblieben. Wohl eben, weil sie seine Mutter war. Die liebe Mutter, die eine Person,
die immer an ihr Kind glaubt und daran, dass es nur Gutes vollbringt, auch wenn
alle Indizien gegen es sprechen. Auf sie ist Verlass und seine Mutter war da
keine Ausnahme. Im Gegenteil, sie konnte geradezu als Paradebeispiel dafür
dienen. Sie hatte jeden einzelnen Tag des Prozesses im Gerichtssaal gesessen,
hatte allen Zeugenaussagen, auch seiner eigenen, zugehört, alle Beweise und Anschuldigungen
mit stoischer Ruhe ertragen, mit der inneren Zuversicht, dass alles gut werden
und ihr Sohn freigesprochen würde. Als das nicht geschah, konnte sie es nicht
fassen, aber es änderte nichts an ihrem Glauben an seine Unschuld. Sie wollte
es nicht einmal wahrhaben, nachdem er ihr gesagt hatte, dass er jede Strafe
verdient hatte, die man ihm zugedachte.
„Ich will davon nichts hören“,
sagte sie und sah ihm eindringlich in die Augen.
„Aber Mama“, fing er an und wurde
sofort von ihr unterbrochen.
„Papperlapapp. Du bist mein Sohn
und ich weiß genau, wozu du fähig bist und wozu nicht. Du bist zu Unrecht hier
und ich werde alles daran setzen, um das zu beweisen.“
Er gab auf. Es hatte keinen Sinn,
sie eines Besseren zu belehren. Sie glaubte ohnehin nur das, was sie glauben
wollte. Aber er hatte es nicht besser verdient, nach dem was er getan hatte.
Und doch hatte er insgesamt noch Glück gehabt. Er hatte Gerüchte gehört, wie
sonst oft mit seinesgleichen im Gefängnis verfahren wurde und hatte das
Schlimmste erwartet. Aber dieses Schicksal war ihm erspart geblieben.
In erster Linie lag das an seinem
Zellengenossen, einem Drogendealer russischer Herkunft. Vl a dimir
Fjodor
. Groß und bullig,
voller Tätowierungen, mit einer Boxernase und glatt rasiertem Schädel, der
aussah wie Fünfzig, aber noch nicht einmal die Dreißig erreicht hatte. Als man
Christopher in seine Zelle gebracht hatte, saß der Typ mit nacktem Oberkörper
auf seiner Pritsche und ignorierte ihn. Sein erster Impuls war, sich umzudrehen
und nach dem Wärter zu rufen, um in Sicherheit gebracht zu werden. Er konnte
sich lebhaft vorstellen, wie der Brutalo mit
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