Die Mädchen (German Edition)
war. Da war er
die ganze Zeit mit dieser zentnerschweren Last herumgelaufen und sie hatte
längst Bescheid gewusst.
„Ich hab vom ersten Augenblick
gewusst, dass dein Vater etwas mit diesem Mädchen hatte, dieser Marie Tuchel,
als ich sie gesehen hatte.“
Sie erinnerte sich sogar an ihren
Namen. „Und wusste Vater…“
„Dass ich es wusste?“ Sie
schüttelte den Kopf. „Nein. So dumm war ich nicht. Wenn er mich betrog, sollte
er schon auch ein schlechtes Gewissen haben. Ich wollte es für ihn nicht
leichter machen, indem ich ihm zu verstehen gab, dass ich Bescheid wusste.“ Sie
lächelte. „Es war manchmal richtig komisch, was er sich für Ausreden einfallen
ließ, wenn er zu diesem Mädchen wollte.“
Timo starrte seine Mutter an, als
ob er sie das erste Mal sah. Wer war diese Frau, die da völlig ungezwungen über
das Verhältnis ihres verstorbenen Mannes redete und dabei Kaffee trank und sich
ein Milchhörnchen mit etwas Butter bestrich?
„Du bist schockiert“, stellte sie
nüchtern fest.
„Ich hatte keine Ahnung von
alldem.“
Sie biss von ihrem Hörnchen ab.
„Warum solltest du auch?“ fragte sie, während sie langsam vor sich hin kaute.
„Es ging dich doch gar nichts an. Das war eine Sache zwischen deinem Vater und
mir.“
Er schluckte. „Es muss schwer für
dich gewesen sein.“
„Nicht schwerer als für andere
Frauen. Und ich glaube, für diese Marie war es sicher schwerer. Sie muss
gewusst haben, dass dein Vater sich nie von mir trennen würde.“
„Woher wusstest du von dem Kind?“
„Ich hab mal ein Telefonat
mitgehört, ohne dass dein Vater etwas gemerkt hat. Da wusste ich Bescheid und
ich wusste auch, dass die Beziehung damit beendet war. Dein Vater wollte Abwechslung,
Zerstreuung und nicht noch eine Familie oder mehr Verantwortung. Das hatte er
ja schon mit uns.“
Timo schüttelte erneut den Kopf.
Seine Mutter war eine erstaunliche Frau, soviel stand mal fest. „Was weißt du
noch?“
„Lass mich nachdenken. Ich weiß,
dass dein Vater so etwas wie einen Fond für seinen unehelichen Sohn angelegt
hat.“ Sie warf ihm einen Blick zu. „Ich nehme an, du sollst dafür sorgen, dass
der Junge das Geld erhält.“
„Nur ist das nicht mehr möglich.“
Er erzählte ihr von Christophers Schicksal und zum ersten Mal an diesem Morgen
schien seine Mutter ehrlich betroffen zu sein.
„Das tut mir leid.“
„Ich bin sehr traurig, dass ich ihn
nicht mehr kennen gelernt habe.“
„Das kann ich verstehen.“
„Warum habt ihr ihn mir
vorenthalten?“
Seine Mutter hob die rechte Hand.
„Moment, ich habe dir gar nichts vorenthalten. Ich hatte mit diesem Jungen
nichts zu tun. Das war allein die Sache deines Vaters.“
Sie hatte Recht. Er konnte ihr
keinen Vorwurf machen. Sie hatte ihre Familie, in der es keinen Platz für einen
Jungen gab, der von ihrem Mann mit einer anderen Frau gezeugt worden war. Sie
konnte nicht zulassen, dass er davon erfuhr, wenn sie den Schein der intakten
Familie aufrecht erhalten wollte.
„Was mache ich jetzt mit dem Geld?“
Seine Mutter zuckte mit den
Achseln. „Es stand deinem Bruder zu, also denke ich, es ist das Beste, wenn
seine Mutter es bekommt.“
Daran hatte er auch schon gedacht,
aber nicht geglaubt, dass seine Mutter damit einverstanden sein würde. So
konnte man sich täuschen.
Eine halbe Stunde später, das Erlebnis
mit seiner Mutter kaum verdaut, klingelte er an einem Block in der
Brucknerstraße im Musikerviertel und hoffte, dass Luisa ihn hereinlassen würde.
„Ich bin’s, Timo“, sagte er über
die Gegensprechanlage.
Es dauerte einen Moment,
wahrscheinlich weil sie sich erst fangen musste, aber dann ertönte der Summer
doch noch. Er sah sie, sobald er die Tür aufgestoßen hatte. Sie stand im Türrahmen
ihrer Erdgeschosswohnung und sah einfach nur umwerfend aus
, ihr dunkles Haar in einem Pferdeschwanz nach
hinten gebunden
.
„Hallo“, sagte er, als er die
Stufen zu ihr hinaufging, sein Herz dem Zerspringen nah.
„Hallo.“ Kühl, aber zumindest
schlug sie ihm nicht die Tür vor der Nase zu, sondern ließ ihn bereitwillig in
ihre Wohnung. Gab es Hoffnung?
„Ich hab dich vermisst“, stieß er
hervor, als er ihr im Flur gegenüber stand.
Sie reagierte nicht, sondern sah
ihn nur an.
„Ich bin hier, um dir zu sagen,
dass du Recht hattest. Es war richtig von dir, mich zu verlassen. Ich war noch
nicht bereit für dich. Es gab noch viel zu klären. Aber das ist erledigt und
jetzt denke ich, bin ich
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