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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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der Hausangestellten; er hatte völlig vergessen, dass es so früh stattfand. Seine Augen glitten suchend über die Gesichter, die ihn anstarrten, und blieben an einem blassblauen Augenpaar hängen, das ebenso erschrocken dreinblickte wie die anderen. Er widerstand dem Drang, zu ihr zu gehen. Ihre Hand zu nehmen. Ihren Puls zu fühlen. Erleichterung überflutete ihn. Jetzt merkte er erst, dass er eine Hand auf sein stolpernd schlagendes Herz gepresst hatte.
    Hudson stand auf, Arnold ebenfalls.
    »Ist alles in Ordnung, Sir?«, fragte Hudson besorgt.
    Nathaniel hob beschwichtigend die Hand. »Bitte, setzen Sie sich wieder hin. Es tut mir sehr leid, dass ich Sie beim Essen gestört habe.«
    Mrs Budgeon fragte: »Brauchen Sie etwas, Sir?«
    Er holte tief Luft und merkte dabei, dass er vergessen hatte zu atmen. Dann sah er noch einmal Margaret an, um sich zu beruhigen.
    »Nein, äh … nein. Machen Sie sich keine Mühe. Es ist alles in Ordnung.«
    Er brachte ein verlegenes Lächeln zustande, bedeutete ihnen, mit dem Essen fortzufahren, ging rückwärts aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er war peinlich berührt, aber auch erleichtert. Es ist alles in Ordnung , wiederholte er stumm. Margaret geht es gut.
    Er fragte sich, wer die anonyme Quelle wohl sein mochte und ob der Bericht wirklich nur Spekulation gewesen war. Oder hatte jemand ein Motiv, Margaret Macy für tot erklären zu lassen?
    Nathaniel wusste, dass Lewis irgendwo im Haus war, doch er suchte ihn nicht, sondern ging hinauf und klopfte an Helens Tür. Als sie nicht antwortete, war er beinahe erleichtert. Er traute sich nicht zu, uninteressiert zu wirken, wenn er ihr die Neuigkeit erzählte. Was sollte er sagen? »In der Morning Post steht, dass Miss Macys Leiche gefunden wurde – sie ist in der Themse ertrunken. Armes Ding. Hättest du das gedacht?«
    Außerdem hatte er den Verdacht, dass seine Schwester ganz genau wusste, wer Nora war – ja, dass sie es vielleicht sogar schon vor ihm gewusst hatte.
    Er setzte sich hin, umkreiste die Spalte mit blauer Tinte und legte die Zeitung auf den Schreibtisch in ihrem Zimmer. Als er die Tür hinter sich schloss, fragte er sich, wo sie wohl war. In der Anfangszeit nach seiner Rückkehr war sie kaum jemals über das Wohnzimmer hinausgekommen, außer zu den Mahlzeiten und zum Sonntagsgottesdienst. Doch seit dem Dienstbotenball hatte sie angefangen, das Haus zu verlassen, beschäftigte sich mit Wohltätigkeitsarbeit und hatte sogar eine Essenseinladung von der Frau des Pfarrers angenommen.
    So hatte sich zumindest ein Leben seit seiner Rückkehr verbessert. Allerdings hatte er den Verdacht, dass das neu erwachte Interesse seiner Schwester am Leben weniger mit ihm zu tun hatte als mit seinem Verwalter Robert Hudson. Und er wusste immer noch nicht genau, wie er sich dazu stellen sollte.
    Eine halbe Stunde später platzte Helen in die Bibliothek, mit roten Wangen und außer Atem, die zusammengefaltete Zeitung wie eine Waffe in der Hand. »Hast du die in mein Zimmer gelegt?«
    Nathaniel kämpfte darum, ein gleichgültiges Gesicht zu wahren. Er blickte auf die Zeitung, als müsse er sich erst daran erinnern. »Ach – ja. Ich dachte, es könnte dich interessieren. Du warst doch flüchtig mit ihr bekannt, oder?«
    » Ich war mit ihr bekannt?« Die Augen seiner Schwester durchbohrten ihn und er wäre beinahe umgefallen.
    Er hörte sich selbst, wie er mit leiser Stimme die Worte aufsagte, die er vorhin geübt hatte: »Armes Ding! Hättest du das gedacht?«
    Helen kniff die Augen zusammen und schien abzuwägen, ob er ehrlich war. Wusste sie es? Wusste sie, dass er es wusste? Oder sah sie ihn vielleicht nur deshalb so eindringlich an, weil sie sehen wollte, ob Miss Macys Tod ihn stärker mitnahm, als er zu zeigen bereit war?
    »Es ist doch nur eine Spekulation«, sagte Helen. »Du weißt doch, dass in der Morning Post immer mehr Gerüchte als Tatsachen stehen. Ich würde mir an deiner Stelle keine Sorgen machen.«
    »Ich mache mir keine Sorgen.«
    Eine Braue hob sich. »Nicht?«
    Er zuckte die Achseln. »Du etwa?«
    Sie starrte ihn an. Er zwang sich, ihren Blick offen zu erwidern.
    Sie fragte: »Hast du es Lewis schon gezeigt?«
    »Nein.«
    »Soll ich?«
    Nathaniel zuckte die Achseln. »Wenn du willst. Mir ist es egal.«
    Helen runzelte die Stirn und betrachtete ihn noch einen Moment. Dann drehte sie sich schnaubend um und rauschte hinaus.
    Sein gespieltes Desinteresse hatte ihm anscheinend keine Pluspunkte bei seiner

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