Die Magd von Fairbourne Hall
sich die Gedanken, und unwillkürlich malte sie sich die schlimmsten Horrorvorstellungen aus – Londoner Freunde, vielleicht Sterling Benton und ihre Mutter oder sogar Marcus Benton, würden kommen. Vielleicht musste sie sie bei Tisch bedienen oder im Ankleidezimmer der Damen bereitstehen, um den weiblichen Gästen mit ihren Umschlagtüchern oder bei der Benutzung des Toilettenstuhls zu helfen. Ihre Mutter würde sie mit Sicherheit erkennen.
Helen sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Die Idee scheint dir nicht zu gefallen?«
Margaret zögerte. »Nein, ich …« Was, wenn jemand sie in ihrer Verkleidung erkannte? Doch dann beruhigte ebendieser Gedanke sie wieder. Verkleidung …
Sie holte tief Luft. »Ich glaube, Sie haben völlig recht, Miss Helen. Ein Maskenball ist eine großartige Idee.«
Beim Frühstück belud Lewis seinen Teller mit Würstchen und grinste seinen Bruder und seine Schwester an. »Ein Maskenball? Herrlich! Ich bin beinahe versucht, bei der Planung zu helfen – um sicherzugehen, dass Miss Barbara Lyons auf der Gästeliste steht. Ihr wisst doch, sie ist eine meiner Lieblingsfrauen.«
»Und die Lieblingsfrau deines Freundes Mr Saxby, glaube ich«, sagte Nathaniel trocken.
Lewis verzog das Gesicht. »Ach, ein bisschen Rivalität unter Freunden tut doch keinem weh.«
Nathaniel wurde beinahe übel. Die Rivalität seines Bruders vor zwei Jahren hatte ihm entsetzlich wehgetan! Er mied Helens Blick und sagte gleichmütig: »Wie auch immer, ich glaube nicht, dass von unseren Londoner Freunden viele kommen werden. Wo sollten wir sie auch alle unterbringen?«
»Keine Sorge«, meinte Lewis. »Miss Lyons hat Verwandte in der Nähe und kann bei ihnen wohnen.« Er zuckte die Achseln. »Oder sie kann mein Bett haben.«
»Lewisssss …«, tadelte Helen und zog seinen Namen in die Länge, wie sie es immer tat, wenn sie indigniert war.
»War doch nur ein Scherz, altes Mädchen! Jetzt tu doch nicht so, als wärst du noch heiliger als Nate! Ein Spielverderber in der Familie ist wirklich genug!«
Lewis blieb noch einen Tag und half tatsächlich bei der Planung des Balls. Dann kehrte er mit seinem Kammerdiener im Gefolge nach London zurück, versprach aber, zum Maskenball wieder da zu sein und die Rolle des Gastgebers zu übernehmen.
Als er fort war, bat Helen Mr Hudson um Hilfe. Da die beiden ein so ausgezeichnetes Gespann bei der Planung des Dienstbotenballs gewesen waren, sah sie keinen Grund, warum sie nicht auch diesmal wieder zusammenarbeiten sollten.
Sogar Nathaniel wurde einen Nachmittag lang in die Pflicht genommen und musste, als er von seinen Runden auf dem Anwesen zurück war, dabei helfen, die vielen Einladungen zu schreiben.
Als Helen in ihr Zimmer ging, um das Tintenfass aufzufüllen, blickte Hudson ihr nach. Dann wandte er sich an Nathaniel.
»Sir, äh … ich …«
Nathaniel, der sah, dass Hudson ganz untypisch verlegen war, hörte auf zu schreiben. »Was?«
»Sie wissen doch sicher, dass ich … Ihre Schwester … sehr gern habe«, stammelte Hudson. »Wie würden Sie … wie stünden Sie da zu … wenn ich …« Er verzog das Gesicht und murmelte: »Egal. Ver gessen Sieʼs. War sowieso eine dumme Idee. Eine Dame wie sie und ein Niemand wie ich.«
Nathaniel sah seinen Freund an und empfand eine Mischung aus dem Bedürfnis, seine Schwester zu schützen, und aufrichtiger Zuneigung und Teilnahme für seinen leidenden Freund. Nein, Robert Hudson stand in gesellschaftlicher Hinsicht nicht auf einer Stufe mit seiner Schwester. Aber er war ein guter Mann. Ein wertvoller Mensch. Er überlegte, was Helen wohl dazu sagen würde. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, wie offensichtlich es war, dass sie … nun ja, gelinde gesagt, die Gesellschaft des Mannes genoss? Steckte mehr dahinter oder würde sie bei der Vorstellung von einer Verbindung mit ihm gekränkt sein?
Nathaniel fragte bedächtig: »Hat meine Schwester Ihnen irgendeinen Grund gegeben zu glauben, dass sie Ihre Gefühle erwidert?«
Hudson seufzte. »Ich glaube schon. Aber das ist bei Frauen verdammt schwer zu sagen, oder? Sie wäre ja selbst zum Rattenfänger noch freundlich. Aber ich glaube, es ist mehr als Freundlichkeit. Und ich glaube, vielleicht …« Er seufzte wieder. »Aber vielleicht ist es auch nur Wunschdenken.«
Nathaniel sagte: »Nun, ich kann nicht für meine Schwester sprechen, aber ich werde Ihnen auch nichts in den Weg legen.«
»Ist das Ihr Ernst, Sir?«
»Ja. Aber den ›Sir‹ werden Sie dann weglassen
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