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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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durch die vielen Glasscheiben drang, sah sie eine Gestalt – einen Mann, der ihr den Rücken zugewandt hatte. Er schloss gerade vorsichtig die Terrassentür hinter sich – eine Tür, die eigentlich hätte verschlossen sein müssen. Dann drehte er sich um und ging leise durch das Zimmer. Einen Augenblick dachte sie, es sei der Pirat, von dem Nathaniel gesprochen hatte, doch dann erkannte sie ihn; es war Lewis, der in der Morgendämmerung nach Hause kam. Er trug keine Krawatte und hätte dringend eine Rasur gebraucht. Anscheinend war er wieder die ganze Nacht fort gewesen; sie fragte sich, bei wem wohl.
    Er blieb kurz stehen, als er sie in der Tür stehen sah, hob jedoch nur einen Finger an die Lippen und ging dann an ihr vorbei, ohne ihr auch nur einen zweiten Blick zu schenken. Offenbar war er zu müde – zu übersättigt, um noch Lust zu haben, mit ihr zu flirten.
    Margaret spürte einen scharfen Stich der Enttäuschung. Enttäuschung über sein Verhalten, nicht über sein Desinteresse an ihr. Sie hatte alle Gedanken an Lewis Upchurch aufgegeben, zumindest die romantischen. Sie hoffte nur, das arme Mädchen, wer immer sie war, wusste, was sie tat.
    Margaret seufzte und machte sich wieder an die Arbeit. Die Teppiche würden sich nicht von selbst bürsten.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
23

    Der Maskenball … wurde zur Lieblingsunterhaltung dieses
Jahrhunderts, nicht nur in den höheren Gesellschaftsschichten,
sondern auch in den unteren Rängen der sozialen Skala.
    Giles Waterfield und Anne French, Below Stairs
    Gegen Mittag las Nathaniel zuerst die seriöse Times , bevor er sich der eher am Gesellschaftsleben interessierten Londoner Zeitung Morning Post zuwandte. Er überflog die Klatschspalten – die Verlobungen, Geburten und Skandale.
    Plötzlich hielt er inne; sein Herz schlug schmerzhaft gegen seine Rippen. Sein Blick flog an den Anfang der Spalte und er las die Zeilen erneut, mit dröhnendem Kopf.
    Junge Frau ertrunken in der Themse gefunden. Die Leiche wurde noch nicht offiziell identifiziert, die gerichtsmedizinische Untersuchung und die Benachrichtigung der Familie stehen noch aus, doch laut einer anonymen Quelle sind die Behörden der Ansicht, dass es sich bei der Verstorbenen um die vierundzwanzigjährige Margaret Macy von Berkeley Square, Mayfair, handeln könnte, die vermisst wird …
    Was hatte das zu bedeuten? War Margaret nicht in ebendiesem Moment irgendwo in seinem Haus? Er durchforstete sein Gedächtnis. Wann hatte er sie zuletzt gesehen? Heute Morgen jedenfalls nicht. Und gestern Abend war sie auch nicht auf dem Balkon gewesen, wie er gehofft hatte. Hatte er sie gestern überhaupt gesehen? Wieder dachte er angestrengt nach. Er hatte ziemlich viel zu tun gehabt, hatte mit Lewis die Kontobücher durchgesehen, eine tödlich langweilige Stunde mit dem Butler verbracht, der ihm ein minutiöses Inventar des Kellers herunterbetete, und an einer Versammlung des Stadtrats im Rathaus teilgenommen. Aber vorgestern hatte er Margaret gesehen. Sie hatte doch in dieser kurzen Zeit sicher nicht nach London zurückkehren und ertrinken können? Das war bestimmt nur Spekulation. Unverantwortliche Berichterstattung. Das war alles.
    Er warf die Zeitung hin und stand auf, weil er wusste, dass er kei­nen Frieden finden würde, bevor er sich vergewissert hatte. Wo würde sie um diese Uhrzeit sein?
    Früher hatte er keine Ahnung gehabt, was seine meist unsichtbaren Hausmädchen wann taten. Doch seit er »Nora« erkannt hatte, wusste er genau, zu welcher Tageszeit sie sich in welchem Raum aufhielt, damit er auf ihren täglichen Runden wenigstens hin und wieder einen flüchtigen Blick auf sie werfen konnte. Er sah auf seine Taschenuhr und überlegte, wo sie im Moment wohl war. Unten, glaubte er. Er wollte eigentlich nicht in den Dienstbotentrakt eindringen, aber er konnte auf keinen Fall mehr warten.
    Er verließ die Bibliothek, ging durch die Halle zur Haupttreppe, schlüpfte durch den Anrichtraum und stieg die Treppe hinunter. Am Zimmer des Butlers bog er ab und ging den trüb erleuchteten Flur entlang, an der Küche und dem Destillierraum vorbei, unaufhörlich den Kopf wendend auf der Suche nach ihr. Es war sehr still hier unten. Die Küche war leer. Wo waren denn alle? Er stieß die Tür zum Dienstbotenzimmer auf, die krachend gegen die Wand schlug und sämtliche im Raum Anwesende zu Tode erschreckte. Köpfe wurden herumgerissen, aller Augen richteten sich auf ihn. Ach ja – es war die Zeit für das Abendessen

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