Die Magd von Fairbourne Hall
Zärtlichkeit für sie, die ihm das Herz abdrückte.
»Geh schon«, befahl er. »Du brauchst deinen Schönheitsschlaf.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich bin gleich wieder da. Bis dahin wird Mrs Welch auf ihn aufpassen.« Er wandte den Kopf und sagte lauter: »Nicht wahr, Mrs Welch?«
Die ältere Frau kam zu sich und richtete sich auf dem Sofa auf. »Ich habe nur meine Augen ein wenig ausgeruht.«
Bruder und Schwester tauschten ein zittriges Lächeln.
Nathaniel ging in sein Zimmer zurück und begann sich zu waschen und anzuziehen. Es klopfte an der Tür.
»Herein.«
Connor trat ein. »Ich wollte etwas fragen, Sir.«
»Ja?«
»Soll ich Sie vielleicht rasieren? Da Mr Lewis krank ist, wäre es mir eine Ehre, Sie bedienen zu dürfen.«
Nathaniel fuhr sich mit der Hand über sein stoppliges Kinn. »Gern. Danke.«
»Danken Sie mir nicht, Sir. Ich wünschte, ich könnte mehr tun.«
Ein paar Minuten später saß Nathaniel vor seinem Ankleidespiegel, das Gesicht eingeseift und ein weißes Tuch um den Hals, zum Schutz seiner Kleidung. Connor stand über ihm und handhabte den Rasierer mit wesentlich mehr Geschick als Mr Arnold. Er bog Nathaniels Gesicht zur Seite und fuhr ihm mit dem scharfen Rasierer über die bärtige Wange. Zwischen den einzelnen Strichen tauchte er die Klinge in die Wasserschüssel.
Connor begann: »Sir, Sie haben mir gesagt, ich solle es Ihnen sagen, wenn mir noch etwas einfällt …«
»Wozu?«
»Zu dem Mann, der auf Mr Lewis geschossen hat.«
Nathaniels Augen hefteten sich auf das Gesicht des jungen Mannes im Spiegel. »Ja?«
»Da ist noch etwas. Ich möchte nichts Unpassendes sagen …«
»Sprich weiter.«
»Sie haben mich gefragt, ob es jemanden gäbe, der etwas gegen Ihren Bruder hat.«
»Ja.«
»Ich dachte nur, Sir. Wie gut sind Sie mit Mr Saxby bekannt?«
Nathaniel spürte, wie sein Puls sich beschleunigte. »Recht gut. Aber lass dich davon nicht abhalten.«
»Es ist nur … ich weiß, dass die beiden Gentlemen Streit über eine gewisse Dame hatten, eine Dame, die sie beide bewunderten.«
»Miss Lyons?«
»Ich … ich glaube, Sir. Obwohl man natürlich versucht, nicht immer jedes Detail eines persönlichen Gesprächs mitzubekommen.«
»Natürlich. Hast du gehört, wie Saxby Lewis bedroht hat?«
»Ich würde nicht von bedrohen reden. Aber er hat ihn gewarnt, sich von ihr fernzuhalten.«
»Ich verstehe. Willst du damit sagen, dass der Mann in Penenden Heath Mr Saxby gewesen sein könnte?«
»Ich will gar nichts sagen, Sir. Das steht mir nicht zu. Ich dachte nur, ich sollte es Ihnen sagen.«
»Aber du hast gesagt, dass du seinen Sekundanten nicht erkannt hast. Mr Saxbys Kammerdiener kennst du doch sicher?«
»Ja, Sir. Und nein, er war nicht der Sekundant. Ich habe den Mann nicht gekannt.«
»Wie sah er aus?«
Connor zuckte die Achseln. »Durchschnittlich. Schmächtig. Dunkles Haar. Um die zwanzig oder ein bisschen älter.«
Ihm fiel niemand ein, auf den diese Beschreibung passte. »Und der maskierte Mann – was hast du von ihm gesehen?«
»Er war sehr gut angezogen, Sir. Ein Gentleman, das ist mir aufgefallen. Braunes Haar. Vielleicht fünfunddreißig.«
Nathaniel überlegte. Die Beschreibung passte auf Saxby. Vielleicht sogar auf Preston, obwohl dieser wohl eher schon vierzig war. Doch das reichte nicht, um etwas zu unternehmen. Nathaniel fragte: »Gibt es noch mehr Frauen … andere eifersüchtige Verehrer oder in ihrer Ehre gekränkte Väter, von denen ich wissen sollte?«
Der junge Mann wurde rot. »Das kann ich nicht sagen, Sir.«
»Kannst du nicht oder willst du nicht?«
»Ich kann nicht schlecht über Mr Lewis reden. Nicht, wenn er sich nicht verteidigen kann.«
»Ich fordere dich nicht auf zu tratschen, Connor. Du sollst mir nur alles sagen, das helfen kann, den Mann zu identifizieren, der auf meinen Bruder geschossen hat.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Kann ich dich etwas fragen? Der Maskierte – würdest du seine Stimme wiedererkennen, wenn du sie hörst?«
Der Kammerdiener zögerte; er runzelte die Stirn. »Seine Stimme …? Ich weiß nicht.«
»Er hatte nicht zufällig einen markanten Akzent, einen Oberschicht-Akzent oder eine poetische Ausdrucksweise?« Er wollte Connor nichts einreden, aber er wusste nicht, wie er ihm sonst die Information entlocken sollte. Er wollte es wissen. Wenn Preston auf seinen Bruder geschossen hatte, würde Nathaniel nicht ruhen, bis er ihn gefunden und selbst Genugtuung gefordert hatte.
»Poetisch, sagen Sie?«
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