Die Magd von Fairbourne Hall
warf das Buch mit solcher Gewalt auf den Tisch, dass es auf den Boden rutschte, doch das beachtete er gar nicht. Er nahm ihr das Schiff aus der Hand, dann den abgebrochenen Mast, versuchte, den Schaden einzuschätzen und die Stücke wieder zusammenzusetzen.
Dabei murmelte er: »Erst das echte, jetzt das.«
Schuldgefühle und Reue schlugen über ihr zusammen. »Ich lass es reparieren, ja? Vielleicht kann jemand in der Stadt …«
»Lass die Finger davon«, schnappte er. Er stellte es auf seinen Schreibtisch, machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer.
Die Tür schlug hinter ihm zu; das Geräusch ließ sie erzittern bis ins Herz. Sie erinnerte sich an diesen Blick. An dieses Gefühl. Wie sie es hasste, ihn abermals zu enttäuschen!
Seufzend machte sie sich wieder an die Arbeit. Sie bückte sich, um das zu Boden gefallene Buch aufzuheben, warf einen Blick darauf und sah, dass es ein Gedichtband war. Robert Burns. Ein Stückchen Papier, vielleicht von einer Karte, steckte zwischen den Seiten und sah ein wenig hervor – es wirkte auf sie wie ein Kind, das die Zunge herausstreckt. Wahrscheinlich hatte es sich bei dem Aufprall gelöst. Irgendetwas an dem Papier erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie fragte sich, welches Gedicht Nathaniel Upchurch wohl einer Markierung wert hielt. Mit dem Fingernagel öffnete sie das Buch an der Stelle, an der das Papier steckte, um nachzusehen.
Zuerst starrte sie nur hin. Dann blinzelte sie. Dann zog sie die Brauen zusammen. Das Gedicht war vergessen. Sie drehte das rechteckige Stückchen Pergament, um das Bild, das darauf gemalt war, aus der richtigen Perspektive zu sehen. Sie betrachtete es durch ihre Brille, dann ohne sie. Ja … es war das, was sie vermutet hatte. Ihr liefen abwechselnd heiße und kalte Schauer über den Rücken.
Wie seltsam, dass er dieses kleine, amateurhaft gemalte Aquarell behalten hatte. Sie erinnerte sich nicht einmal daran, es ihm gegeben zu haben. Wusste er vielleicht gar nicht, dass sie es gemalt hatte? Vielleicht hatte er es vor langer Zeit in den Gedichtband gesteckt, um eine Stelle zu markieren. Dann hatte er es einfach vergessen, und als er es später entdeckte, wusste er nicht mehr, dass die Frau es gemalt hatte, die seinen Antrag abgelehnt hatte. Die Frau, die er verabscheute. Bestimmt hätte er es nicht behalten, wenn er sich daran erinnert hätte.
Das Bildchen war einer ihrer gelungeneren Versuche, aber es besaß keinerlei materiellen oder emotionalen Wert. Es war einfach ein hübsches Aquarell von Lime Tree Lodge, zweifellos idealisiert. An den Hauswänden kletterte der Efeu hoch, das Spalier war von üppig blühender Klematis bewachsen, im Garten wucherte Geißblatt, überall blühten Narzissen und auf der Vordertreppe lag ihr weißer Kater Claude. Der einzige Mensch in diesem Idyll war eine junge Frau in gelbem Kleid, die auf einer Schaukel neben dem Haus saß, das Gesicht abgewandt. Unter der weißen Haube war eben ihr Profil zu erahnen. Sie hatte sich Caroline vorgestellt, als sie die Gestalt auf der Schaukel malte, doch in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie selbst früher solch ein gelbes Kleid besessen hatte, nicht Caroline.
Sie war versucht, das Bild zu behalten; schließlich gehörte es ihr. Wie gern hätte sie diese Erinnerung an Lime Tree Lodge besessen! Eine Erinnerung an bessere Tage.
Doch sie wagte es nicht. Sie durfte nicht riskieren, dass er es vermisste und sich fragte, warum das alte Aquarell von Margaret Macy so bald nach der Einstellung eines neuen Hausmädchens abhandengekommen war.
Als Nathaniel später am Abend in sein Zimmer zurückkehrte, nahm er den Gedichtband von Burns in die Hand, den er vorhin auf den Tisch geworfen hatte. Er zog das kleine Aquarell von Lime Tree Lodge heraus – das Letzte, was er von seinem brennenden Schiff gerettet hatte. Er fragte sich, warum er sich immer noch so quälte. Trotzdem ließ er zu, dass die Erinnerung zurückkam.
Nathaniel hatte Reverend Stephen Macy auf einer Diskussionsveranstaltung der African Institution kennengelernt. Thema waren die respektiven Vorteile einer sofortigen beziehungsweise schrittweisen Emanzipation der Sklaven, nachdem sie zunächst auf ihre Freiheit vorbereitet worden waren.
Für beide Seiten waren ernst zu nehmende Redner zu Wort gekommen, doch am stärksten hatte Nathaniel sich von der schlichten, tief empfundenen Bitte eines Geistlichen aus der Nachbargrafschaft angesprochen gefühlt. Mr Macy plädierte für die sofortige Freiheit. Er sagte,
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