Die Magd von Fairbourne Hall
gesagt?
Sie trat vor, froh, dass Helen ihr den Rücken zukehrte. Trotzdem hätte sie am liebsten einen Schal über den Spiegel geworfen.
Sie nahm die Haarbürste und begann wieder, Helens Haar zu bürsten. Während sie hinunterblickte, sah sie, dass der Halsausschnitt von Miss Upchurchs Kleid ausgefranst war und die Zierknöpfe nur noch an dünnen Fädchen hingen. Das Kleid war nicht nur abgetragen, sondern auch restlos altmodisch. Helen Upchurch war immer recht modisch gekleidet gewesen, wenn Margaret sie während der Saison in London gesehen hatte. Aber das war, bevor ihr das Herz gebrochen wurde und sie sich von der Gesellschaft zurückzog.
Während sie Helens Haar aufsteckte, spürte sie, dass die Frau sie im Spiegel beobachtete. Margaret schluckte und – nervös, wie sie war, steckte sie die letzte Nadel zu tief ins Haar.
Helen schrie leise auf. »Was machst du denn!«
Margaret gefiel das seltsame Licht in Helens Augen gar nicht. Das Licht des Verdachts – oder des Wiedererkennens? Sie sagte mit ihrem einstudierten Akzent: »Tschuldigung, Miss.«
Helen blinzelte. Sie fragte langsam: »Warum bist du hier auf Fairbourne Hall?«
Wieder diese Frage. Margaret leckte sich über die trockenen Lippen. Sie überlegte wieder einmal, ob Helen Bescheid wusste. Hatte sie ihre Verkleidung durchschaut – im Gegensatz zu ihren Brüdern? Vielleicht legte sie aber auch zu viel in Helens Fragen hinein. Schließlich hatte sie sie nach ihrer letzten Begegnung nicht einfach vor die Tür gesetzt.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Ich brauchte die Arbeit, Miss«, sagte sie. »Ich war sehr froh, als Mr Hudson mir die Stelle angeboten hat.«
Helens Augen verengten sich. »Aber warum wolltest du ausgerechnet hier arbeiten?«
»In … in London gab es keine Arbeit.«
Helens Miene verhärtete sich. »In London gibt es immer Arbeit.«
»Ich konnte nicht dort bleiben, Miss. Ich musste fort.«
»Aber warum ?«, wiederholte Helen. Sie war sichtlich frustriert und ratlos.
Margaret schluckte. »Weil mein …« Sie hasste es, im Zusammenhang mit Sterling Benton das Wort Vater zu verwenden, wollte aber nicht seinen Namen sagen. »Mein Stiefvater wollte, dass ich seinen Neffen heiratete – und den finde ich widerlich.« Margaret schauderte von Neuem bei dem Gedanken daran, Marcus Benton zu heiraten.
Helen schien darüber nachzudenken, dann sagte sie langsam: »Man kann dich nicht zwingen, gegen deinen Willen zu heiraten, und das weißt du auch. Das Gesetz verbietet es. Du kannst heiraten oder auch nicht, ganz wie du willst.«
»So wie Sie?« Die Worte waren ausgesprochen, bevor sie es verhindern konnte.
Helen Upchurchs Gesicht verzog sich vor Schmerz und Ärger.
Margaret wurde von Reue gepackt. »Tut mir leid, Miss. Das hättʼ ich nich sagen dürfen. Aber Sie wissen, dass Männer kriegen, was sie wollen, und dass Frauen nichts dagegen machen können.«
Für einen Moment blickten Helens haselnussfarbene Augen verträumt in die Ferne. »Ja, das weiß ich.« Dann sah sie wieder mit scharfem Blick in den Spiegel. »Warum bist du hierhergekommen? Wenn du irgendwelche Ränke schmiedest, warne ich dich …«
Margaret hob beide Hände in einer Geste der Verteidigung. »Keine Ränke, Miss. Ich wär noch weiter weggefahren, aber ich hatte nich mehr Geld. Als Mr Hudson mich auf dem Stellenmarkt entdeckt hat, wusste ich gar nich, für wen er arbeitet. Ehrlich nich.«
Ein paar Sekunden lang starrten die beiden Frauen einander im Spiegel an.
Dann schien Helen zu einem Entschluss gekommen zu sein. Sie stand auf, drehte sich um und sagte förmlich: »Nun gut … Nora. Dann solltest du dich jetzt wieder an deine Arbeit machen, oder?«
Margaret knickste mit schwachen Knien. »Ja, Miss. Danke, Miss.« Sie ging rückwärts aus dem Zimmer, nicht ganz sicher, was gerade geschehen war. Hatte Helen Upchurch sich bereit erklärt zuzulassen, dass sie ihr Versteckspiel fortsetzte? Oder hatte sie sich die vielsagenden Blicke und misstrauischen Fragen nur eingebildet? Auf jeden Fall musste sie vorsichtig sein und tun, was immer Helen von ihr verlangte.
Im Flur wartete Fiona auf sie und packte sie unsanft am Arm. »Schon wieder da drin? Was hast du vor? Die Herrin bedienen ist Bettys Aufgabe. Und höchstens noch meine.«
»Ich bin nur hineingegangen, weil sie nach mir verlangt hat.«
»Und warum hat sie das wohl getan? Weil du dich ihr aufgedrängt hast! Du hast es ausgenutzt, dass Betty krank war, und dich bei ihr eingeschmeichelt. Wenn das
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