Die Maggan-Kopie
Naturkatastrophen nahmen einige Gruppierungen zum Anlass Panik zu schüren und terrorist i sche Aktivitäten zu starten. So gelang es einer Gruppe von fünf Terroristen, in einer waghalsigen Nach t aktion, mit einem Helikopter auf der Bohrinsel zu landen und eine Sprengladung an einen der vier Vera n kerungspfeiler anzubringen. Und dann kam der Europatag. Die Arbeit ruhte und die Arbeiter feierten zu Hause mit ihren Familien die Gründung der Europäischen Allianz, die sich aus der vormaligen Europäischen Union und Wä h rungsunion entwickelt hatte. Europa wird nun von einer Zentralregierung – dem Europäischen Parl a ment – regiert. Die ehemaligen Saaten werden jetzt Provinzen genannt.
Die Arbeiter grillten gerade Würstchen in ihren Gärten unter der flatternden Europafahne, als eine gewaltige Explosion den Pfeiler und weitere wichtige Elemente der halbfertigen Boh r insel zerfetzte.
Der Schock dauerte genau zwei Tage, dann ging der Bau weiter. Die Ferti g stellung verzögerte sich nur um vier Monate. Die Sicherheitsvorkehrungen na h men allerdings Ausmaße an, als handle es sich bei dem Bau um ein streng gehe i mes Militärprojekt. Sogar den Fischern wurde das Auslaufen der Boote bis zur Fertigstellung des Giganten unte r sagt.
Die international angelegte Suchaktion nach den Saboteuren hatte schon nach zwei Wochen Erfolg. Die Täter hatten einen Rucksack mit Werkze u gen auf dem Rohbau der Bohrinsel zurückgelassen. Ein Haar eines der Täter, das daran gefunden wurde, führte die EuroCops auf die Fährte. Er war schon einmal, im Zusammenhang mit den Inuitaufständen, drei Jahre vor diesem Anschlag im Norden der nor d amerikanischen Allianz verhaftet worden und somit in der Gendatei gespeichert. Vier von ihnen wurden in einer Hütte in den Schweizer Alpen fes t genommen. Bei dem Schusswechsel kam eine Frau ums Leben und die vier Überlebenden verschwanden auf einer Insel in Pol y nesien. Niemand wusste genau welche Insel es war. Doch im Volksmund wurde sie Alcatraz genannt, so wie die ehemalige Gefängnisinsel vor San Francisco. Sie hatte auch dieselbe Aufgabe.
Überführte Terroristen bekamen aus Kostengründen keinen Prozess mehr, sondern automatisch lebenslänglich. Dies war in dem Präjudiz-Urteil über Terr o risten vom Europäischen Gerichtshof erlassen worden. Diese Urteile wurden für genau definierte Verbrechen im Voraus gefällt und bei Personen angewendet, die auf frischer Tat ertappt worden waren. Somit sparte die G e sellschaft eine große Summe von Steuergeldern, die für Untersuchungshaft, Gerichtskosten, Gutac h ten und so weiter, nötig wären, wenn ein komplettes Verfahren eingeleitet werden müsste. Dies geschah nur noch dann, wenn der Verdächtige erst der Tat überführt werden musste, weil nicht genügend B e weise vorlagen. Doch mittels der Gendatei und den Spuren, die Verbrecher immer am Tatort zurücklassen, können über zwei Drittel aller Verbrechen durch Präjudiz-Urteile gesühnt werden. Alle r dings weiß keiner genau, wie viele Unschuldige jetzt in den Gefängnissen oder den Isolationsinseln inhaftiert sind. Denn wann und bei wem das Gesetz zur A n wendung kommt, obliegt einem Präjudiz-Gremium, das aus Richtern und Staatsanwälten besteht und dessen Entscheidung im weitesten Sinne subje k tiver Natur ist.
Maggan und ihr Vater hatten wunderbares Wetter. Nicht besonders warm, aber dafür eine einmalige Fernsicht. Man konnte beim Klettern vom Felsen in den nächsten Fjord sehen. Die entfernten Berge wirkten bläulich und der Übe r gang zwischen Wasser und Himmel war fließend. Die Luft war rein und klar. Es roch nach Meer und Moosen. Stille überall. Nur ein paar Möwen u n ten im Fjord durchbrachen sie von Zeit zu Zeit mit ihrem G e kreische.
Ihr Vater kletterte voraus und Maggan folgte ihm. Die lauten Schläge, mit denen er die Haken in die Felswand trieb, hallten aus dem Tal unter ihnen wider. In versteckten Nischen im Gestein blü h ten lila Glockenblumen. Maggan liebte diese Blumen. Alles war so idyllisch. Doch Rune Svenson schenkte ihnen keine Beachtung. Die Natur war da, um von ihm besiegt zu werden. Maggan liebte ihren V a ter trotzdem, auch wenn er die Blumen zertrampelte, um an sein Ziel zu kommen. Er war ihr großes Vorbild. Der Au s flug war einer der wenigen Momente, in denen er ihr ganz allein gehörte und in denen er sich ihr widmete. Sie war mit ihren siebenundzwanzig Jahren kein Kind mehr, das ihren Vater dringend brauchte, doch sie hatte ihn in ihrem
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