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Die Magie des Falken

Die Magie des Falken

Titel: Die Magie des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruben Philipp Wickenhaeuser
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an die Lippen setzte.
     
    Die Feier verlief wie so viele andere. Es war längst dunkel geworden, als Kyrrispörr sich vergewisserte, dass sein geliebter Laggar gut schlief und es auch den anderen Falken an nichts mangelte. Trotz seines von Met und Beerenwein schweren Kopfes suchte er aus der Truhe die Dinge heraus, die er für sein Orakel benötigte, und verstaute sie in seiner Gürteltasche. Er versäumte es auch nicht, der Völva des Dorfes seine Anerkennung in Gestalt einer Silbermünze zu erweisen; die beleibte Matrone lächelte würdevoll und versprach Wohlwollen der Geister bei seinem Orakel.
    »Halte Wache, damit niemand mich stört«, bat Kyrrispörr Hvelp und reichte ihm seinen Speer mit der prachtvollen Spitze. Sodann begann er mit der langwierigen Prozedur, sich in die Anderswelt zu versenken. Er brannte Kräuter ab und legte jene Samen bereit, die das zweite Gesicht beförderten – Eyvinds Warnung jedoch bewog ihn dazu, sie sich für den Notfall aufzuheben, wenn alle anderen Versuche fruchtlos blieben. Gewiss würde er sich jetzt den Geistern nicht zum Sklaven machen, jetzt, wo er so nah am Ziel war … Stattdessen begann er mit dem dumpfen Brummen, das seinen ganzen Leib in Schwingungen versetzte und ihm bei der Versenkung sehr half.
    Während Hvelps Gestalt sich als dunkler Schemen gegen den schwarzen Himmel abhob und sein Speer wie ein mahnender Finger zu den Sternen emporwies, wurde Kyrrispörr bald von dem Gefühl der Leichtigkeit ergriffen, das den Reisen seines Geistes voranging. Im Dunkel sah er plötzlich das glänzende Auge Laggars und den Reißhakenbeißschnabel des Falken, an dem winzige blutrote Stückchen seines letzten Mahls klebten, und sein Geist löste sich vom Körper und glitt empor. Das überwältigende Gefühl von Trauer und Glück überflutete ihn im Wechsel und brachte ihn zum Weinen. Er schaute die Weisheit der Götter und war überwältigt von dieser Macht, die kein Mensch würde je begreifen können.
     
    Der Morgen graute, als Kyrrispörr wieder zu sich zurückfand. Es war ein beeindruckendes Schauspiel: Durch die Schlucht, die am Ende dieses Tals gen Osten führte, brach sich eine Bahn klaren Lichts und ließ die gegenüberliegenden Hänge erglühen. Das Dorf lag zur Rechten noch im Dämmerlicht der vergehenden Nacht und schlief fest; einzig die Hähne hatten mit ihrer tagtäglichen Aufgabe begonnen, den Tag willkommen zu heißen. Hvelpr stand immer noch völlig regungslos an der gleichen Stelle, an der er sich gestern aufgestellt hatte, den Speer fest in der Hand. Kyrrispörr empfand Dankbarkeit für seine Treue. Noch war er zu verwirrt über die Erkenntnisse dieser Nacht, um sie in Worte fassen zu können. Er schüttelte sich, überwand das unangenehme Gefühl, das die vom Morgentau feuchte Kleidung auf der Haut zurückließ, und sammelte seine Sachen zusammen. Nicht ohne einen Anflug von Stolz stellte er fest, dass er wieder ganz ohne Hilfe der Zaubersamen ausgekommen war. Nein, er würde nie zu einem sabbernden Wrack werden wie die Finnen, die Eyvindr nur noch mit Mitleid bedacht hatte. Er würde mit den Geistern über die Vorherrschaft seines Leibes kämpfen, und wenn es sein musste, bis zum Letzten.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte Hvelpr, als sie sich gemeinsam auf den Rückweg machten. Seine Stimme klang krächzend von dem kühlen Nebel, und seine Augen waren vom fehlenden Schlaf ganz schmal geworden.
    »Witting kenne ich auch nicht. Bei den Jomsvikingern ist es bestimmt nicht, da heißen alle Orte anders. Im Land der Iren oder Angelsachsen kann es nicht sein, das wüssten wir beide. Kommt mir immer merkwürdiger vor.«
    »Mir sagt der Name irgendetwas«, überlegte Kyrrispörr. »Aber was …«
    »Und die Götter?«
    Kyrrispörr hob die Schultern und machte ein bekümmertes Gesicht.
    »Sie haben zu mir gesprochen. Ich verstehe es selbst noch nicht, aber sicher bin ich, dass es damit alles nichts zu tun hatte. Nur mit Olafr.«
    Hvelpr fragte nicht weiter. Schweigend gingen sie den Hügel hinab ins Dorf, wo die ersten Knechte nach dem Vieh sahen. Vom Ufer kam ihnen Gurun entgegen. Sie hatte gebadet und wrang im Gehen ihr Haar aus.
    »Und? Wo wird Olafr sterben?«
    Kyrrispörr schüttelte irritiert den Kopf. »Ich weiß es nicht«, brummte er. Er bemerkte wohl den Unwillen, der in Guruns Augen aufglänzte.
    »Aber Oinn wird dir doch einen Fingerzeig gegeben haben!«
    Kyrrispörr blieb mit einem Ruck stehen.
    »Ich weiß es nicht!«rief er. »Jetzt warte doch ab, ich

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