Die Magie des Falken
einer Hüttenwand. Obwohl sie leise sprachen, konnte Kyrrispörr sie gerade so verstehen.
»Wo kommst du denn her? Bist du nicht bei der Bekehrung des Rau getötet worden?«
»Still, wir haben keine Zeit«, unterbrach Hvelpr ihn. »Was ist hier los?«
»Der Sohn von Eirik Blóöxar, Gurör, ist von England gekommen und hat uns …«
»König Olafr?«
»Er ist ausgefahren, ich denke, du kommst von …«
»Gut, gut, du warst damals dabei, als ich verletzt worden war, als die Seimenn brannten, richtig?«
»Äh … ja?«
»Schwöre bei Gott und allen Heiligen, dass du mir jetzt die Wahrheit sagst! Also …«
Hvelpr senkte die Stimme, sodass Kyrrispörr ihn nicht mehr verstehen konnte. Nervös nestelte er an dem Bogen. Auch die Antwort des Mannes verstand er nicht. Dann warf Hvelpr einen Blick zu ihm herüber, der nicht zu deuten war.
»Eins noch, schnell. Wo ist Æringa? Eine Sklavin, von den Bœndi von Jarnskegge?«
»Ach, die …«
Kyrrispörrs Herz tat einen Sprung. Er sperrte die Ohren auf, verstand aber nichts. Er sah, wie Hvelpr sich von dem Mann verabschiedete mit den Worten: »Ich erstatte Bericht«, und auf den Zaun zueilte. Eilig fingerte Kyrrispörr nach den Pfeilen. Hvelpr setzte mit einem Sprung über den Zaun, und im ersten Augenblick dachte Kyrrispörr, er habe ihn übersehen – aber Hvelpr sprang ihn mit Absicht an: Er riss ihn mit sich zu Boden, trieb ihm ein Knie in die Magengrube und packte ihn an der Kehle. Kyrrispörr spürte eine Messerspitze am Hals.
»Schwörst du, es war wirklich ein Pfeil des Eyvind? Schwörst du, bei Oinn, bei Huginn und Munnin und bei Þórr dazu?«
»Ja, ja«, stieß Kyrrispörr hervor, »ich schwöre es! Nie wollte ich dich verletzen oder gar töten!«
Hvelpr ließ von ihm ab und setzte sich ins Gras.
»Die haben mich belogen«, sagte er tonlos. »Die ganze Zeit. Der Kerl hat es mir gerade gesagt. Sie haben behauptet, du hättest mich verraten. Gott, wie ich deinen Tod herbeigesehnt hatte … Wie ich geflucht habe, als ich von deiner Befreiung aus der Bucht gehört habe …«
Kyrrispörr war erschüttert, Hvelp so niedergeschlagen zu sehen. Zugleich war da eine mahnende Stimme in seinem Kopf. Sie konnten hier jederzeit entdeckt werden.
»Und Æringa?«, fragte er.
Hvelpr sah auf.
»Komm, verschwinden wir! Der hält dicht, weil er glaubt, ich würde zu König Olaf zurückkehren und von Gurös Überfall berichten. Aber man weiß ja nie …«
»Warte! Wir müssen noch Æringa retten!«
»Æringa ist nicht mehr da.«
»Was?«
»Gurör hat sie zusammen mit ein paar anderen jungen Frauen an einen Händler verkauft!«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Doch, und jetzt komm, oder wir teilen ihr Schicksal! Und gib mir meinen Köcher, mit den Vögeln kannst du eh nicht schießen!«
Kyrrispörr schnallte sich hastig das Tragereck um und gab Hvelp die Waffe.
»Wohin wollte der Händler fahren?«, fragte er, während sie loseilten.
»Was weiß ich! Witrim, oder so.«
»Kenn ich nicht!«
»Ich auch nicht, weiter!«
Sie sahen schon die Rinder auf der Weide, und Kyrrispörr war erleichtert, dass sie es bald geschafft hatten. Gerade begannen sie mit dem Umrunden, als Hvelpr mit einem unterdrückten Aufschrei beiseitesprang. Keine Handbreit neben der Stelle, wo er gerade noch gestanden hatte, zitterte ein Speer im Boden.
Rätselhaftes Witting
ufgeregt schlugen die Vögel mit den Flügeln, als Kyrrispörr in die Knie ging und das Falkengestell aufsetzte. Hvelpr hingegen fuhr geschmeidig herum, schoss aus der Drehung einen Pfeil ab und schickte in rasend schneller Folge zwei weitere hinterher. Er war schon immer ein guter Schütze gewesen. Kyrrispörr sah, wie eine Gestalt gerade noch den Pfeilen ausweichen konnte und Deckung suchte.
»Jetzt war ein Wächter auf dem Hügel!«, rief Hvelpr. »Weg hier!«
Der Speerwerfer behelligte sie nicht – aber das war auch gar nicht nötig. Während Kyrrispörr und Hvelpr flohen, hörten sie hinter sich sein Horn über die Wiesen schallen. Viel zu rasch wurde der Ruf von anderen Hörnern beantwortet. Die Jagd war eröffnet. Kyrrispörr musste das klobige Gestell mit beiden Händen halten und konnte sich nur vorsichtig bewegen – es war gar nicht daran zu denken, loszurennen.
»Erinnerst du dich an den Jellingpass?«, keuchte Hvelpr. Kyrrispörr nickte. Als sie beide vielleicht zwölf Jahre gezählt hatten, hatten sie mit dem Boot einen heimlichen Ausflug gemacht und gebadet. Wie aus dem Nichts war
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