Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
anderen Fürstentümer ausweiten würde. Das wäre das Ende der Abkommen der Kleinen Königreiche. Das Ende von Séhanes Lebenswerk.
Insgeheim hatte Séhane immer gehofft, der König würde sie überleben und mit einer anderen Frau den Bund schließen, die ihm Kinder schenken würde. Doch Urio war vor elf Jahren gestorben. Seither hatte sie so viel zu tun gehabt, dass sie nicht dazu gekommen war, sich um ihre Nachfolge zu kümmern.
»Ich denke oft darüber nach, es dem Matriarchat gleichzutun, Corenn, und das Volk den Herrscher bestimmen zu lassen. Das ist der gerechteste Weg. Doch die Fürsten stemmen sich mit aller Kraft dagegen. Sie sind noch nicht bereit dafür. Und für Junin ist es besser, Teil der Kleinen Königreiche zu bleiben, als sich abzuspalten.«
Corenn gab ihr recht. Die Königin hatte lange über die Frage nachgedacht, um keine falsche Entscheidung zu treffen. Doch leider hatte sie auch die richtige noch nicht gefunden, und das stürzte sie in Verzweiflung. In Kaul wäre Séhane gewiss Große Mutter geworden, und zwar eine sehr weise.
»Ich habe die Sache zu lange aufgeschoben. Das Volk ist besorgt, und die Fürsten werden allmählich ungeduldig. Dieses Mal werden sie nicht abreisen, ohne meine Entscheidung zu kennen. Ich kann es ihnen nicht verübeln.«
»Welche Möglichkeiten habt Ihr denn, Séhane? Wer käme als Euer Nachfolger infrage?«
»Einer der Fürsten, aber die Juneer würden keinem von ihnen folgen. Oder ein Juneer, was wiederum die Fürsten nicht hinnehmen würden. Welche Entscheidung ich auch treffe, es scheint, als würden die Kleinen Königreiche in den drei Monden nach meinem Tod in Flammen aufgehen.«
»Und was wollt Ihr? Habt Ihr jemanden im Sinn?«
»Ja. Sein Name ist Perbas, und er ist seit über fünfzehn Jahren mein Kanzler. Er ist ein Ehrenmann, und er kennt die Angelegenheiten der Fürstentümer so gut wie ich selbst, vielleicht sogar noch besser. Und er hat einen Sohn, der denselben Weg einzuschlagen scheint. Er wäre ein würdiger Nachfolger. Doch wie soll ich die Fürsten dazu bringen, ihn zu akzeptieren? Erst nach mehreren Jahren würde er es wagen, den Fürsten auf Augenhöhe zu begegnen, dabei müsste er das gerade zu Beginn seiner Herrschaft tun.«
In Corenn reifte eine Idee heran. Endlich konnte sie sich Séhane gegenüber erkenntlich zeigen. »Die Juneer sind ziemlich abergläubisch, nicht wahr?«, fragte sie. »Und die Fürsten auch, wenn ich mich recht entsinne?«
»Keiner von ihnen würde einen Zweig von einem Moäl abbrechen, Corenn. Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Stellt Ihnen Perbas als den von den Göttern erwählten Thronfolger vor. Das schützt ihn vor Angriffen. Niemand wird es wagen, sein Recht auf den Thron anzuzweifeln.«
»Eine Täuschung?«, rief Séhane.
Sie klang überrascht, doch ihr Blick war nachdenklich. In wenigen Augenblicken wog die Königin das Für und Wider ab. Die Idee gefiel ihr immer besser. »Ich dachte, Ihr wärt die Hüterin der Tradition, Corenn«, sagte sie lächelnd. »Verstößt so etwas nicht dagegen?«
»Auch Geizhälse müssen essen, Séhane. Ich musste schon mehrmals die Gesetze des Matriarchats umgehen, um sie zu schützen. Ihr würdet es nicht zu Eurem persönlichen Nutzen tun, sondern für das Wohl Eurer Untertanen.«
»Ich beneide Euch um Eure Gewissheit. Ich bin älter als Ihr, doch aus Eurem Mund sprechen Weisheit und Weitblick.«
»Ich weiß nicht, ob es Weisheit ist. In den vergangenen Dekaden habe ich mehr erlebt als andere in einem ganzen Leben. Seither sehe ich die Welt mit anderen Augen. Und das ist nicht beneidenswert, glaubt mir.«
Corenn konnte der Königin weder von der Reise zur Insel Ji noch von der geheimnisvollen Pforte oder den Kindern erzählen. Doch den Rest der Geschichte kannte Séhane, daher verstand sie die Traurigkeit, die sie manchmal, wenn Corenn sich unbeobachtet fühlte, auf dem Gesicht der Ratsfrau las.
Die Vorbereitungen für die »Täuschung« waren rasch getroffen. Als Erstes führte Séhane ein langes Gespräch mit Perbas. Die Königin sprach zum ersten Mal mit ihm über den Plan und musste zunächst einmal herausfinden, ob er die Krone überhaupt annehmen würde. Nach dieser Unterhaltung war das Gesicht des Kanzlers weiß wie die Gischt auf dem Meer.
Der Juneer wollte eine Nacht darüber schlafen. Am nächsten Morgen suchte er Séhane auf, so früh es die Höflichkeit erlaubte. Er war bereit, den Thron zu besteigen. Die Königin hatte an seine Liebe zu seiner
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