Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
sie wusste nur zu gut, wem die Worte galten.
Die Tage vergingen, und der Verfasser der rätselhaften Botschaft an Séhane ließ nichts von sich hören. Vielleicht reichten sechs Tage auch nicht für die Überfahrt von Mestebien nach Junin, falls sich der geheimnisvolle Unbekannte überhaupt noch in der romischen Stadt aufhielt. Die Erben vergingen fast vor Ungeduld. Schließlich hatte auf dem Pergament gestanden: »Vielleicht können wir einander helfen«.
Die Gefährten versuchten, den Vorfall während der Zusammenkunft der Fürsten zu vergessen. Die Trance der Alten war nicht vorgetäuscht gewesen, denn sie war noch nicht wieder bei Sinnen. Corenn hätte gern geglaubt, dass die Seherin von irgendwem unter Rauschmittel gesetzt worden war, damit die Erben einen Fehler begingen oder ihre Suche aufgaben. Sie suchte verzweifelt nach etwas, das der Verstand begreifen konnte. Etwas, dessen ein Sterblicher fähig war.
Denn andernfalls verfügte ihr Feind über gefährliche Kräfte - Kräfte, die so mächtig waren, dass die Bedrohung durch die Züu schien geradezu lächerlich wirkte. In diesem Fall wäre ihr Widersacher in der Lage, sie überall aufzuspüren. Was konnten die Gefährten also anderes tun, als abzuwarten und sich in Geduld zu fassen?
Corenn und Grigán nutzten die Zeit, um ihre Schüler zu unterrichten. Dem Krieger gelang es sogar, Bowbaq ein paar Paraden mit dem Stock und dem Streitkolben beizubringen, auch wenn er seine Übungen mit mitleiderregendem Widerwillen absolvierte.
Rey machte sich bei den Wachen Séhanes unbeliebt, indem er mehrere Würfelspiele mit hohen Einsätzen gewann. Seine Freunde begriffen nicht, warum er unbedingt um Geld spielen wollte, wo er doch schon genug Terzen besaß, um sich einen Palast zu kaufen.
Grigán und Corenn hatten ihn außerdem im Verdacht, mit einigen Dienerinnen Séhanes angebandelt zu haben. Das Kichern und Augenzwinkern, wenn er an ihnen vorbeiging, sagte mehr als ein unterschriebenes Geständnis. Den Gefährten war es so egal wie der pelzige Hintern eines Margolins, wie Rey seine Nächte verbrachte, solang er ihnen oder Séhane keine Schwierigkeiten machte. Zum Glück herrschten in den Fürstentümern recht lockere Sitten.
Am Non der Dekade des Jägers, dem Tag des Pferdes, wurde die friedliche Eintönigkeit unterbrochen, in der sie sich eingerichtet hatten. Es war ein besonderer Tag: Létis fünfzehnter Jahrestag.
Die ersten Dekanten vor dem Mit-Tag betete und meditierte die junge Frau, so wie es die eurydische Religion vorschrieb. Léti war nicht strenggläubig, doch sie erfüllte die Pflichten des Jahrestags stets mit der größten Sorgfalt. Es ging darum, mit sich selbst und seinen Handlungen ins Reine zu kommen und darüber nachzudenken, was man im folgenden Jahr mithilfe der Göttin besser machen konnte.
Nach dieser inneren Einkehr stand Léti die Traurigkeit ins Gesicht geschrieben. Im vergangenen Jahr war nur wenig Erfreuliches passiert, und sie hatte keine Ahnung, was sie in Zukunft besser machen konnte.
Die anderen waren allerdings entschlossen, den Tag gebührend zu feiern, und sie gaben sich so große Mühe, ihr eine Freude zu machen, dass Léti ihr Unglück für eine Weile vergaß.
Zur Feier des Tages führte Rey eine klassische Komödie der Oberen Königreiche auf: Favel, der Pechvogel. Viel gesprochen wurde in dem Stück nicht, denn es lebte vor allem von den Grimassen der Hauptfigur. Rey zwang Yan und Bowbaq, sich mit ihm auf die Bühne zu stellen, und beschrieb ihnen ihre Rollen mit knappen Worten. So hatte die Aufführung nur noch entfernt etwas mit dem Original zu tun. Doch Reys ausdrucksvolle Mimik sowie Yans und Bowbaqs unbeholfene Schauspielversuche hatten die gewünschte Wirkung: Léti liefen vor Lachen die Tränen über das Gesicht.
Dann wurden die Geschenke überreicht. In Junin war es Sitte, dem Geburtstagskind als Freundschaftsbeweis eine kleine Gabe zu überbringen. Séhane hatte einige Tage zuvor von dem Brauch erzählt, und die anderen hatten ihn nicht vergessen. Léti war ganz gerührt, als alle ihr nacheinander Geschenke gaben. Manche waren sogar in Papier eingeschlagen.
Séhane schenkte ihr das Gemälde der Abgesandten, das im Waffensaal an der Wand gehangen hatte. Seit sie darauf gestoßen war, hatte Léti es jeden Tag betrachtet. In ihren Augen war das Gemälde von unschätzbarem Wert, und sie wusste kaum, wie sie der Königin danken sollte.
Rey schenkte ihr ein lorelisches Rapier, das demjenigen ähnelte, das
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