Die Magier 04. Kinder der Ewigkeit - Le Doyen Eternel
Schatten seiner selbst. Er kann das Wetter nicht beeinflussen, keine Berge erschüttern, keine Flüsse austrocknen und keinen Sturm auf dem Meer entfesseln wie Hamsa, Éi, Lirtl oder Phrias.
Er kann weder Dinge noch Lebewesen erschaffen. Keine Pflanze wird je aus seinem Geist erblühen. Kein Tier wird ihn je in der Natur vertreten, anders als Mishra, der die Bären, und Jeth, der das Margolin erschuf. Kein Fabelwesen wird aus seinem Samen entspringen, denn der Gott kann sich nicht fortpflanzen.
Sombre kann nur zuhören. Das können alle Götter. Und er kann den Sterblichen etwas zuflüstern. Doch das langweilt ihn.
Aber kämpfen kann er. Im Kampf ist er der Größte.
Er ist der Bezwinger, so haben die Menschen es gewollt. Weiter reicht seine Macht nicht. Also kämpft Sombre. Und siegt. Tötet. Erobert. Zerstört.
In seinem Tempel riecht es wie in der Unterwelt des Karu, und es ist dort fast ebenso finster. Sombre fühlt sich in seinem Reich wohl, oder vielmehr fühlt er sich dort nicht so unwohl wie anderswo. Er verlässt den Tempel nur noch selten. Er hört den Menschen zu, brütet über seinem Schicksal und spricht mit seinem Freund. Und er geht auf Jagd.
Die Jagd ist mittlerweile das Einzige, woran er Gefallen findet. Der Gott genießt die Hinrichtungen, die zu seinen Ehren stattfinden und an denen er höchstpersönlich teilnimmt. Nur finden sie viel zu selten statt. Mit der Zeit ist ihm das Warten lang geworden.
Aber Saat hat auch dafür eine Lösung gefunden, wie für alles. Er ist sein bester Freund - eigentlich sogar sein einziger. Manchmal denkt der Gott, dass er auch an seiner Schwäche schuld ist. Sombre ist nicht naiv. Doch solange er zurückdenken kann, kennt er nichts als diese Freundschaft. Er kann sich nichts anderes vorstellen.
Saat ist sein Freund. Zusammen sind sie die Dyarchen. Zwei Köpfe unter einer einzigen Krone.
Saat hatte die Idee mit der Menschenjagd im Tempel. Regelmäßig lässt er Männer in das Gebäude sperren, das er das Mausoleum nennt. Niemand kommt dort je wieder heraus.
Meistens sind es keine Sklaven. Dann wäre das Spiel nicht so lustig. Sombre jagt lieber Krieger. Goronische Gefangene, treulose Wallatten, Abtrünnige, Feiglinge, Verräter, das ist ihm gleich. Diese Worte bedeuten ihm nichts. Wichtig ist nur, dass sie in seinem Labyrinth herumirren. Dass sie um ihr Leben kämpfen. Und dass ihre Todesangst und ihr Leid greifbar sind.
Der Gott langweilt sich entsetzlich. Während er darauf wartet, seinem Erzfeind zu begegnen, vertreibt sich Sombre die Zeit mit der Menschenjagd. Entsetzensschreie hallen durch die Finsternis seines Tempels am Fuß der Berge des Karu.
Nol kam mit gemessenen Schritten den Hügel hoch, auf dem die Marmorpforte stand. Die Erben starrten ihm stumm entgegen. All ihre Hoffnungen ruhten auf dem Seltsamen. Er war ihren Vorfahren in diesem Tal begegnet. Er wachte über die Kinder des Jal’dara. Er hatte alle bisherigen Götter der Menschheit aufwachsen sehen und würde auch die Geburt der künftigen Götter erleben. Er war der Ewige Gott.
Das Porträt, das ein juneeischer Maler ein Jahrhundert zuvor von Nol gemalt hatte, war ihm verblüffend ähnlich und unähnlich zugleich. Später stellten die Erben fest, dass sie alle Nol unterschiedlich wahrgenommen hatten. Jeder beschrieb sein Aussehen anders: Bowbaq war er groß vorgekommen, Lana klein. Corenn hatte einen Greis gesehen, Grigán einen Mann mittleren Alters. Für manche war er von aufrechtem, für andere von krummem Wuchs. Die Freunde beschrieben ihn als dünn oder dick, kahlköpfig oder grauhaarig, hell- oder dunkelhäutig. Auch bei seiner Kleidung waren sie uneins. Rey schwor, ihn nackt gesehen zu haben. Die anderen sprachen hingegen von einem Lendenschurz, einem Gewand, einer Robe oder einem Umhang. Natürlich fielen ihnen diese Unterschiede erst viel später auf, als sie zufällig auf Nols Aussehen zu sprechen kamen. Als Erklärung blieb ihnen nur der Zauber des Jal.
Einzig was die Augen des Ewigen Wächters anging, waren sie sich einig. Während Nol langsam auf sie zukam, spürten die Gefährten sein Wohlwollen. Sein Wohlwollen und seine Traurigkeit. Yan fielen plötzlich Nols Worte bei ihrer ersten Begegnung ein: Die Zukunft zu kennen, ist eine schwere Bürde. Aber niemand kann sich seine Bürde aussuchen. Worum mochten die Gedanken des Gottes kreisen? Waren Sterbliche überhaupt in der Lage, sie zu verstehen?
»Willkommen zu Hause«, sagte Nol freundlich, trat nacheinander
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