Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Geldbeutel voller Münzen zu besitzen. Sie würde Dinge kaufen, nur weil sie ihr gefielen, während die Händler übereinander hinwegkletterten, um sie als Kundin zu gewinnen.
Doch das war vor so langer Zeit gewesen … Jetzt ging es ihr viel besser. Sie musste ihre sauer verdienten Münzen nicht vergeuden. Alles, was sie auf diesem Markt kaufen konnte, konnte man auch kostenlos von den schwer beladenen Handelsschiffen bekommen, die sie regelmäßig plünderten. Das machte keinen Unterschied. Es ging nicht darum, die Dinge zu besitzen, die sie kaufte. Zwischen den Karren und Buden auf der Jagd zu sein, herumzuwühlen, um zu sehen, welche fantastische Beute sie vielleicht finden würde, die bis dahin von allen übersehen worden war, die vor ihr da gewesen waren … Die Suche war unterhaltsam und in gewisser Weise sogar befriedigend. Aber für dieses Privileg zu bezahlen und sich endlich geachtet zu fühlen, das war doch die wahre Belohnung.
Ihre Absichten mussten ihr vom Gesicht abzulesen sein, denn ihr Kapitän seufzte. »Du willst doch nicht etwa einkaufen gehen, oder?«
Sie verbarg das Grinsen, das gerade aufzublühen drohte. »Ich habe dir doch gesagt, dass ein paar Kisten Zwieback im Sturm ruiniert worden sind. Und wir könnten auch ein bisschen mehr Rum gebrauchen.« Sie wackelte mit dem Degengriff. »Und ich dachte, ich könnte bei Jack vorbeigehen und nachsehen, was für neue Klingen er sich seit dem letzten Jahr hat einfallen lassen.«
Binns nickte. Die leuchtend bunten Federn auf seinem Hut wippten fröhlich. »Das überlasse ich dann dir. Ich will selbst ein bisschen herumspazieren. Sollen wir uns heute Abend zum Essen treffen?«
Falkin dachte eine Sekunde lang darüber nach. Es hätte keinen Sinn gehabt, Camberlins Schenke vorzuschlagen. Seit jener Nacht, in der sie einander kennen gelernt hatten, weigerte sich Binns, auch nur einen Fuß dorthin zu setzen. »Man weckt das Unglück zu schnell, wenn man dorthin zurückkehrt, wo es einem zuletzt begegnet ist«, pflegte er zu sagen. Also würde sie sich die Zeit nehmen müssen, Olympia Camberlin aufzusuchen, während sie allein unterwegs war.
»Wie wär’s mit dem Goldenen Becher ?«, schlug sie endlich vor.
Binns stimmte mit einem Nicken zu. »Gute Wahl. Wir können uns ja dort auch Zimmer nehmen.« Er zog den Hut und vollführte eine tiefe Verneigung. »Dann sehen wir uns bei Sonnenuntergang, mein Mädchen.« Er setzte den Hut wieder auf, marschierte davon und winkte nach links und rechts, als sei er ein reicher Edelmann, der gerade seine Güter besuchte.
Falkin sah ihm nach, bis er in der Menge verschwunden war, und wandte sich dann der Marktstraße zu. Sie schloss sich der Menschenmenge an, die auf dem Weg zu den bunten Ständen und den Schätzen, die sie feilboten, war. Die Straße war überfüllt von Leuten, die kauften, verkauften und sich umsahen. Die wohlhabenden Händler besaßen Plätze im Markthaus, einer überdachten Passage aus Marmorblöcken, die längs der Straße verlief. Alle paar Schritte war die Wand von Torbögen durchbrochen, so dass Kunden so ein und aus gehen konnten, wie es ihnen gefiel. Trotz der Öffnungen bot das Markthaus selbst an den regnerischsten Tagen Schutz. Weniger gut betuchte Geschäftsleute bauten am äußeren Rand der Straße Zeltstände auf, während Bäcker und Verkäufer von eingelegtem Gemüse ihre Karren auf und ab schoben, sich durch die Menge zwängten und ihre Waren jedem anpriesen, der ihnen im Weg stand.
Wohin Falkin auch blickte, es schien ihr so, als sei sie von märchenhaften Schätzen umgeben. Edelsteine jeglicher Form und Farbe glänzten im funkelnden Morgensonnenschein, leuchtend grüner Malachit, tiefroter Hämatit, Mitternachtsopale, die so tief purpurn waren wie der letzte Augenblick eines sommerlichen Sonnenuntergangs. Seidenballen aus Pecheta standen Seite an Seite mit flaumig weicher Wolle vom Kontinent in fabelhaften Farbtönen; die losen Enden der Stoffballen flatterten in der Morgenbrise, die vom Wasser heraufstrich. Kunstvoll geschnitzte Kästchen, zarte Glasflaschen voller Parfüm, handbemalte Spielkarten und Spielzeug … In Falkins Augen würde wohl selbst das Paradies nicht mit den Reichtümern mithalten können, die sie auf dieser Straße umgaben.
Da packte sie eine Hand am linken Arm. Lange Finger, knochig und so kalt wie der alte Tod. Falkins Hand huschte zu ihrem Degengriff.
»Nicht doch«, zischte eine Stimme. Ihr Besitzer war ein Skelett mit eng anliegender, teigiger Haut,
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