Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
in ihrer Tasche. Vielleicht konnte sie ja zusammen mit Olympia essen, während sie nach jeglichem Klatsch über einen neuen Magus in der Stadt bohrte. Es sei denn natürlich, Shadd deckte Olympia zu sehr mit … Arbeit ein.
Camberlins Schenke war das beliebteste Wirtshaus auf Eldraga. Es war ein zweistöckiges Haus, das jedes Jahr nach der Wirbelsturmsaison in leuchtendem Blau und Weiß frisch gestrichen wurde. Seine Glasfenster waren von innen von vornehmen Spitzenvorhängen verhüllt. Es ragte an einem Ende der Marktstraße wie ein Palast auf und zog Besucher aus allen Schichten an. Manche kamen wegen des mitreißenden Musiktheaters, manche aber, um ihr Glück an den zahlreichen Spieltischen zu versuchen. Und mehr als nur ein paar, um die Gesellschaft der Camberlin-Dirnen zu genießen, die überall auf den Neun Inseln als die liebreizendsten und zuvorkommendsten Freudenmädchen bekannt waren, die man nur zu treffen hoffen durfte.
»Na, sieh an, was uns der Wind da hergepustet hat!«
Ein hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren und Augen, von dessen Schläfe eine fürchterliche Narbe bis auf die Wange verlief, stand vor den Schwingtüren des Hauses. Er war in eine schwarze Lederrüstung gekleidet, die an verschiedenen Stellen mit Nieten aus dumpfem Stahl verziert war. Eine Auswahl von Klingen steckte in Scheiden an seinen Beinen und Armen und an seiner Hüfte. In einer Hand hielt er einen langen, böse zugespitzten Spieß. »Wenn die Sonne meine müden, alten Augen nicht schon ganz geblendet hat, dann ist das doch wohl meine süße Falkin! Wo bleibt mein Kuss, Schätzchen?« Er breitete weit die Arme aus und ließ den Spieß in der Armbeuge ruhen.
»Ahoi, Sabas! Drohst du immer so mit deinem großen Spieß, wenn du deine Freunde begrüßt?«
Sabas, der schlank und muskulös war, bewachte die Tür zu Camberlins Schenke schon so lange, wie Falkin sich zurückerinnern konnte. Der Spieß war nur ein Requisit. Wenn ein Kampf ausbrach, warf er die lange Stangenwaffe beiseite und benutzte lieber eine der vielen kleineren, schärferen Klingen, die er am Körper hängen hatte.
»Das nennst du groß?« Er lehnte den Spieß an die Wand hinter sich. »Ich habe da eine noch viel bessere Waffe, die ich dir oben in meinen Gemächern zeigen kann.« Lüstern ließ er die Augenbrauen spielen. »Natürlich nur, wenn du Lust hast, ein bisschen damit herumzuspielen.«
Falkin lachte und ließ zu, dass er sie in eine erdrückende Umarmung zog, in der sie fast das Gleichgewicht verlor. »Also, wo ist deine Herrin, Sabas?«, fragte sie, sobald er sie wieder abgestellt hatte.
Mit einer Hand wies er hinter sich in den hell erleuchteten Raum. »Hält Hof – wie immer. Willst du, dass ich dich melde?«
Falkin schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht. Shadd ist mir hier schon zuvorgekommen, schätze ich.«
»Ja, das hättest du sehen sollen! Er muss gar nichts tun, nur zur Tür hereinspazieren. Bei seinem Anblick hüpft und tanzt Olympia wie ein Wassertropfen in einer heißen Eisenpfanne.« Sabas’ Augen funkelten fröhlich, als er ihr mit einer weit ausholenden Armbewegung die Tür aufhielt. »Ich glaube allerdings, dass er jetzt gerade im Bad ist. Wahrscheinlich kannst du also eine Audienz bei unserer Herrin bekommen.«
Falkin schritt in den Hauptraum und blieb stehen, damit sich ihre Augen an das Licht gewöhnen konnten. Auf dem Rand der erhöhten Feuerstelle standen zwei Musikanten, die gerade ein mitreißendes Stück auf Trommel und Laute spielten. Der Raum war überfüllt, sowohl mit fein gekleideten Herren als auch mit zerlumpten Seeleuten; manche klopften mit ihren Bechern im Takt der Musik auf die Holztische; andere tanzten oder schäkerten mit den Dirnen. An der Rückwand befand sich die Theke. Sie war fast zwanzig Fuß lang, vier Fuß breit – und bestand aus dunkel glänzendem Holz, das mit gewundenen, lebensechten Schnitzereien verziert war, die Schlangen und Tiere zeigten, von denen nur Legenden berichteten. Olympia erzählte den Leuten gern, die Theke sei einst ein Kirchenaltar gewesen, der vor der Großen Verheerung aus dem Tempel des Namenlosen Herrn auf der Insel Cre’esh gestohlen worden sei.
Dahinter standen Fässchen mit verschiedenen Biersorten und Weinen auf Gestellen; jedes Fass trug ein Schild, das den Namen des Inhalts und den Ursprungsort in den vier gebräuchlichsten Sprachen der Inseln verzeichnete. Ganz rechts auf der Theke, dort, wo sie auf die Seitenwand traf, stand ein massiger Stuhl, der aus
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