Die magische Fessel
Feuer hinüber:
»Hört mir zu! Robbin ist einer von uns, und entweder nehmt ihr ihn wieder in eure Gemeinschaft auf, oder seht zu, daß ihr von hier verschwunden seid, bevor Yhr über dem Eiland erscheint!«
Robbin wand sich in Seelenqualen. Wußte Mythor denn überhaupt, was er da anrichtete? In diesem Moment besiegelte er das Schicksal Carlumens!
Aber er tat noch mehr.
Robbin geriet in ein Wechselbad der Gefühle. Bedeutete das Festhalten aller an ihm denn nicht, daß er, wenn auch aus einer Gemeinschaft verstoßen, schon längst eine andere, festere gefunden hatte?
War die Freundschaft von Mythor, Gerrek, Fronja und all den anderen denn nicht ungleich mehr wert als die Duldung in einem Kreis, der einen aus seiner Mitte verstieß, ohne sich seine Rechtfertigung auch nur anzuhören?
Aber wenn er doch nun das Unglück über diese Freunde brachte!
In Robbin erwachte der Trotz. Nein, niemand hatte erwartet, die anderen Pfader hier zu finden! Glück hin und Glück her – man war gekommen, um Yhr aus eigener Kraft zu zähmen!
Und ich werde es tun! dachte Robbin. Mögen die Götter mir beistehen oder über mich urteilen – ich werde Carlumen von Yhr befreien, wenn sich nicht alle guten Mächte gegen mich verschworen haben!
Und er faßte in diesem Moment einen Entschluß, legte sich sein weiteres Vorgehen zurecht und wußte sehr wohl, daß er dabei umkommen konnte.
Als Mythor zurück war, sagte er:
»Ich bin euch dankbar, so laßt mich meinen Dank auch beweisen. Laßt mich allein zur Stele gehen. Laßt mich allein versuchen, die eingemeißelten Zeichen zu entziffern, daß sie mir den Weg ins Mausoleum weisen.«
»Robbin, niemand will ein Opfer von dir. Sieh durch das Fenster. Die Pfader ziehen geschlossen ab. Niemand wird uns aufhalten.«
»Und Yhr? Ihr vergeßt Yhr, doch ich glaube, ich weiß jetzt, warum sie noch nicht über Carlumen erschien. Laßt mich zur Stele gehen, und wenn ich recht habe, werdet ihr sehen, was ich meine. Dann greift nicht ein!«
Er sprach mit einer solchen Eindringlichkeit, sein Blick war so flehend, daß Mythors Widerspruch nur noch sehr mäßig ausfiel. Kurz darauf hatte Robbin ihn überzeugt – doch nicht zuletzt deshalb, weil plötzlich auch Lankohr, Heeva und Nadomir ihn unterstützten.
»Dann versuche dein Glück«, gab Mythor schließlich nach. »Aber sei gewiß, daß wir dich beobachten und bereit sein werden, dir zu folgen, sobald…«
»Tut es nicht!« bat Robbin. »Es könnte alles zerstören.«
Er wartete nicht weiter ab und verließ Carlumen zum zweitenmal.
»Ihr wißt etwas?« fragte Mythor die Aasen und Nadomir.
»Er rechnet damit«, sagte Lankohr, »daß Yhr sich zeigen wird, sobald er sich der Stele oder dem Mausoleum nähert. Er glaubt offenbar, daß sie uns die ganze Zeit über schon unsichtbar beobachtete. Und damit mag er recht haben, denn Yhr dürfte nach ihren Erfahrungen mit uns vorsichtiger geworden sein.«
»Sie will sich zuerst ansehen«, fügte Nadomir hinzu, »was wir auf Tinkers Ruh suchen, um dann zuzuschlagen. Aber dazu muß es nicht unbedingt kommen. Robbins Ansicht, man könnte sie zum Verbündeten machen, hat vieles für sich, und darum ist er jetzt allein dort unten.«
»Eine Schlange der Finsternis als Verbündeten«, sagte Fronja und schüttelte sich.
7.
Robbin suchte vergeblich nach Spuren der Pfader. Selbst ihr Feuer hatten sie gelöscht. Der Boden um die Stele herum war so, als hätte hier niemals eines gebrannt.
Robbin blieb vor der Säule stehen und sah sich um. Über den Wehren und hinter den Brüstungen Carlumens waren die Oberkörper der Krieger zu sehen. Mythor, Sadagar, Fronja und Gerrek standen zwischen ihnen. Schwerter, Lanzen- und Pfeilspitzen blitzten im grünen Licht des Eilands.
Als ob Yhr mit ihnen beizukommen wäre! Lernt ihr denn nie?
Der Pfader hockte sich hin und richtete den Blick auf die Zeichen. Es dauerte eine Weile, bis er sie zu lesen vermochte, die unteren zuerst. Sie priesen die Taten des berühmten Tinker. Hier und da waren die Namen und Symbole von Pfadern eingeritzt, die diese Stätte im Lauf der Zeit besucht hatten.
Für einen Moment war Robbin versucht, auch sich zu verewigen, wie zur Kampfansage an jene, die ihn verstoßen hatten.
Er widerstand der Versuchung. Sie machte nichts ungeschehen. Dazu bedurfte es anderer Wege.
Seine Finger fuhren die Linien und Kreise nach, und seine Lippen murmelten die Worte, die sie ihm offenbarten. Es war, als spräche Tinker selbst aus der Stele heraus zu ihm
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