Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
sich von dieser schleppenden Stimme so eingelullt, schier verzaubert, daß er sich nur ahnungsweise eine richtige Vorstellung von dem Sinn der Worte machen konnte.
»Ich lasse dich jetzt für kurze Zeit allein«, sagte der Chinese. »Ich schließe dich ein, doch sorge nicht; es ist um deiner selbst willen gut so. Dein Begehren, zu ihm zu gelangen, wird wachsen. Du wirst vielleicht Qual empfinden; aber du mußt es ertragen; denn ich muß Zeit gewinnen, um aus den Schriften den Ausweg zu ergrübeln; denn es muß einen anderen Ausweg geben.«
Er sprang empor; leise raschelte die schwarze Seide und wallte von seiner mächtigen Gestalt herab. Ehe Harald sich besinnen konnte, schlug die schwere Tür ins Schloß. Er war allein.
Dr. Sze wandelte mit fliegenden Schritten in das Gemach zurück. wo die Schriftrolle lag. Wiederum entbreitete er sie und versank in tiefes Grübeln unter sechs flammenden Glühbirnen, die ihn kalkweiß bestrahlten. Wieder zog der runzelige Finger nachdenklich an den Kolonnen rechteckig verschlungener Zeichen herab. Er dachte und dachte so intensiv, daß die Schultern spitz heraustraten, daß sein alterndes Gesicht sich, sichtbar schrumpfend, pendelnd hin und her bewegte; daß die Pupillen sich schier gänzlich hinter die einsinkenden Lider versteckten.
Mit einem Male riß ihn ein scharfer Krach aus seiner Grübelei.
Wie ein Betrunkener hob er sich stolpernd in die Höhe, reckte sich dann auf und eilte den Gang zurück.
Die schwere Tür des Zimmers war erbrochen; eine unerhörte Kraft mußte Harald plötzlich beseelt haben, um sie zu sprengen.
Sze stürzte in den Innenhof hinein. Dort sah er die nackte, weißleuchtende Gestalt schon auf halber Höhe des Hügels.
Er eilte dem Jungen nach, als dieser sich anschickte, sich wie blind zwischen die ausgebreitet starrenden Tatzen des Ungeheuers zu werfen. Er krallte ihm die Hände in die Hüften und riß ihn mit äußerster Gewalt wieder herab. Gleichzeitig fühlte er die Kraft des Dämons erlöschen; und dies ward ihm erklärlich, als er die blutig geschundenen Handflächen des Knaben sah, die dieser wimmernd von sich streckte. So war Zazel für kurze Zeit geatzt . . .
Sze brachte ihn dieses Mal in ein anderes, noch entfernteres Zimmer, in welchem Wandspiegel von der Erde bis zum Boden hingen.
Die Tür war wie die des Einganges mit dickem Messing beschlagen. Er überließ den Fassungslosen sich selbst, schloß ihn ein und eilte zu seiner Schriftrolle zurück.
Harald blickte sich um. Was war ihm geschehen? Mit einem Male sah er sich in einem der Spiegel stehen.
Ja, als er sich umdrehte, ward sein Bild doppelt und dreifach zurückgeworfen von anderen. Ein Gedanke begann in seinem Hirn aufzukeimen und sich schmerzhaft zu entfalten. Statt dieses großen Spiegels sah er auf einmal einen kleineren vor sich, der an einer grünen Tapete hing, und darunter formten sich mühsam aus seinem Gedächtnis steigend die Umrisse eines Schreibpultes ab.
Wo war das doch gewesen, daß er sich selbst ins Antlitz gestarrt hatte, das letzte Mal?
Nackt und schlank stand sein Bild dort in Kristall. Seine Haare waren zerrauft und sein Antlitz weiß wie die Haut seines Körpers.
Einen Herzschlag lang tauchte ein Zimmer auf mit Möbeln, die er kannte, mit einem Bett und einem Fenster, das ihm vertraut war. Er versuchte, es festzuhalten, doch es entglitt ihm mehrmals. Endlich kam ihm die aufwühlende Erinnerung an das Früher ; mit schreckhafter Deutlichkeit.
»Wo bin ich hingeraten!« dachte er fassungslos. »Was macht man mit mir? Wo hält man mich gefangen?«
Er drehte sich blitzschnell um, wie um Verfolger abzuwehren; doch die stumpf blinkende Messingtür war alles, was er erblickte. Kein Griff war daran wahrzunehmen, keine Klinke, kein Schloß. Nur dieses kahle Zimmer mit den Spiegeln und draußen das ewige, ermüdende Hell und Dunkel, das, sichtbar trotz des scharf bestrahlten Zimmers, hinter dem Fenster geschäftig war.
Er riß es auf. Es war mit schweren Eisenbarren verdeckt. Wind atmete ihm entgegen und das Draußen zerrte an ihm mit schmerzhaft rüttelnder Sehnsucht.
Die Augen von Tränen überquellend, preßte er die Stirn an das Gitter. Fliehen war sein einziger Gedanke, fliehen aus diesem verzauberten Haus, aus der Nähe dieses Gelben und des unheimlichen Kolosses dort hinten, der mit ihm spielte wie die Katze mit der Maus . . . Fieberhaft suchte er nach einem Gegenstand, der ihm helfen könne. Er erwartete keine Feile zu finden, aber vielleicht
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