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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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verblüfften. Mit zehn konnte sie so weise Dinge von sich geben, daß man innerlich in die Knie sank. Streng und gerecht, das war sie; und in den letzten Jahren, bis zum großen Ereignis, herrschte ein so inniger Kontakt zwischen unseren Gedanken, daß jeder von uns im anderen las, wie in einem aufgeschlagenen Buch.
    Sie nannte mich Mark. So hatte mich auch meine Frau genannt. Das Wort Vater fiel nie. Ich habe auch geistig keinen Augenblick einen Vollbart gestrählt oder einen Bakel geschwungen. Ich war wie ein Bruder; lächerlich eifersüchtig auf fremde Einflüsse . . .
    Ich erwirkte die Erlaubnis zum Hausunterricht, dicke ärztliche Atteste – wiewohl dem Mädchen nichts fehlte als zwanzig Prozent Blut; ein wenig zart war sie, na ja – übrigens ergibt sich dies bei schnellem Wachstum. Der Hausunterricht schloß sie von der Schule aus.
    Ich hatte sie so in der Gewalt, daß sie die Berührung mit anderen Kindern nie vermißte und ein hoffärtiges und unzugängliches Frauenzimmer wurde. Ich war der einzige Mensch, den sie längerer Ansprachen würdigte; den sie mit kameradschaftlicher Duldung um sich vertrug.
    »Du amüsierst mich, Mark,« – war sie imstande zu sagen; – »du bist der einzige Mensch, der mich nicht langweilt.« – So ein Ausspruch klingt nach allerhand, wie? aus dem Mund eines vierzehnjährigen Backfisches, besonders wenn sie den eigenen Erzeuger meint . . . Es ist mir aber vollkommen gleichgültig, was ›man dazu sagen‹ mag. Selbst Ihre Meinung, meine Herren, spielt nicht die geringste Rolle. Übrigens war das Amüsement ganz gegenseitig; so ein schuldloser Zeitvertreib wie das Spiel mit hochtrabenden Worten wuchs üppig bei uns. Auch quälte sie mich gern. Sie wußte, daß ich ihr verfallen war. Aus einem verschmitzten Wissen heraus tat sie seltsame Dinge. Einmal erwischte ich sie, als sie sich eine kurze Pagenfrisur schnitt und neben den Spiegel das Bild meiner Frau gelehnt hatte.
    »Was ist das wieder für ein Unsinn?« fragte ich.
    »Nun,« sagte sie und handhabte die Schere mit mörderischer Zielbewußtheit – »einen ganz kleinen Unterschied muß es doch geben zwischen mir und ihr!«
    Dabei zeigte sie auf das Bild. Meine Frau hatte ihr Haar in faustdicken Wickelflechten um den Kopf getragen.
    Der Mensch ist ein ausgesprochenes Herdentier, meine Herren. Es tut nie gut, wenn er der Welt die Tür ins Gesicht schlägt. Selbstisolierung hat viel Autosuggestives; sie erzeugt falschen Hochmut. Außerdem wird man Zufällen gegenüber viel verletzlicher. Denn diese verdammten Zufälle – sie kriechen überall hinein, durch jede Ritze, und stellen uns ein Bein – es braucht nicht einmal ein organisierter Angriff von denen da draußen zu sein. Ein kaltes Lüftchen kann es sein, ein vagierender Giftkeim, ein böser Wunsch vielleicht nur wie eine Zufallsfledermaus beim Lampenschein . . . Dumm von mir, was, mich vierzehn Jahre lang abzuschließen?!
    Da kannte ich die Herren von der Bank, nette, freundliche Kollegen. Es ist schauerlich, was ich bei ihnen verabsäumt habe. Beruflich konnten sie mich nie tadeln. Zum Prokuristen hat man mich avancieren lassen. Ich habe meine Stelle vertreten als saubere, gutgeölte Maschine, und der Chef sagte darum auch in schwierigen Fällen: ›Reisen Sie , Stirum; Sie sind unbeteiligt . . .‹ Alles prallte von mir ab. Der Löffel fand sich nicht, über den man mich balbierte. Und die Menschen, mit denen ich über große Summen verhandelte, wie Puppen kamen sie mir vor, denen Spruchbänder aus dem Munde hingen. Durchschaubar, riechbar war mir ihr Charakter. Ich betrieb eine Art von Hellseherei. Niemand konnte mir etwas vormachen, und daher stammte auch die hübsche Glosse des Chefs von meiner ›uninteressierten Unbestechlichkeit . . .‹
    Mein Gott (werden Sie sagen) – ist das auch noch ein Mensch! Kann man denn der Gesellschaft so in die Zähne hineinleben! Ja, Sie haben recht; das Gesetz des Sozialen läßt nicht mit sich spaßen. So ein ehernes Menschheitsgesetz ist wie eine Walze; – sie schleift einen mit oder sie vernichtet einen. Da kannst du dich stemmen; vielleicht gelingt dir das sogar jahrelang, denn, von der Perspektive des winzigen Individuums aus, hat diese Walze ein Schneckentempo. So bildet man sich schließlich ein, daß man sich wirklich eine Klausnerei geschaffen hat inmitten der brodelnden Zivilisation. Aber auf einmal, unvermutet, werden die eigenen Füße doch unwiderstehlich unter einem fortgerissen.
    Ich bin ja

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