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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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stammend: der erste Wächterruf, welcher der Genienschar des sonnigen, winddurchtummelten Sprießmondes vorauslief.
    Darauf sanken sich beide in die Arme. Eine kurze Weile verharrten sie so, und dann spürte Désirée plötzlich eine unendliche Traurigkeit. Denn nun wußte sie: ihr ewiger, unerschütterlicher Rivale war nicht aus dem Feld zu schlagen. – Es war der Mond . Gleichzeitig trat das Nebengemach mit der verstummten Bewohnerin vor ihr inneres Auge; sie sah sie dort drinnen schrullenhaft lächeln, mit schattenhaftem, makabrem Behagen, mitten im Amüsement dahingerafft zu sein . . .
    Sie stürzte mehrere Gläser hinab. Da entstand ein rosiger Nebel; und ihr wurde leichter. Aus einer klingenden Stille klang verworren Musik und Luftgekreisch – so fern, als ob ihr die Ohren klängen. Und Désirée versenkte sich in Pierrots Augen. Ein Brand glomm darin, der die Seelen versengte. Sie fuhr voller Andacht fort, ihn zu küssen . . .
    Aus einmal zeigte er Unruhe.
    »Was ficht Dich an?« fragte sie zärtlich. Doch er, seinen Kopf zwischen den weiten Ärmeln begrabend, stöhnte auf. – Ein Windstoß brauste draußen vorüber. Er hob den Kopf, sah stumm im Kreise um; seine Augen drehten sich; die Brauen krochen über der Nasenwurzel zu einem schwarzen Fleck zusammen. Seine Hände verließen ihre fröstelnden Schultern. Sie strichen tastend und zitternd an ihren blühenden Armen herab . . . Ein Krampf überlief ihn; und endlich sagte er, den Mund auf ihre Hand gepreßt, mit einer seltsam entlegenen Stimme:
    »Nun muß ich gehen, Désirée; nun ist es Zeit, merke wohl . . . Nun schlägt die zwölfte Stunde, und der Sarg wartet auf mich . . .« Und leiser sprechend, sagte er mit starrem Blick: »Die Wunde brennt, zieh dein Florett,
Arlecchino
, du Würdeloser, und gib mir den Gnadenstoß! –« Dann schritt er still zum Fenster, öffnete es und sprach eintönig in die Nacht und in den Wind hinein:
»Wenn dir die Pulse pochen,
Mein Glaube ist's gewesen;
Ich habe dich erlesen,
Du bist mir zugesprochen!
Wenn ich die Wimpern senke,
Dann mußt du Atem holen,
Und wenn ich deiner denke,
Bist du dir selbst gestohlen . . .«
    Désirée, von einer seltsamen Angst gelähmt, verhielt sich still. Ein stärkerer Windstoß brauste herein, und die nun zum Ende des letzten Drittels herabgebrannten Kerzen wurden bläulich und gingen flackernd aus. Silbernes Zwielicht herrschte im Raum. Der Schatten Pierrots trat vom Fenster zurück. Und während er reglos stand, wurde es auf einmal ruhig wie in einer Gruft.
    Ein beklemmendes Nicht, ein gänzlicher Mangel an Geräuschen wuchs empor; Désirée vermeinte einen Sturz zu tun.
    Plötzlich erscholl ein Uhrenschlag. Dann ein zweiter, ein dritter: drei fühllose Hämmer zerspalteten die Zeit mit scharfen Metallschreien, zwölfmal , grell und lieblos; und als sie verstummten, zog ein Flor vor den Mond.
    . . . Pierrot tat einen wunderlich rührenden Seufzer und schritt auf die Truhe zu, deren Deckel geöffnet stand wie ein goldener Rachen, der nach ihm schnappte. Dies alles sah Désirée halb im Traume und untätig an; es war so hell, daß sie fast alle Einzelheiten sah; ein fahles Licht herrschte, wie sie es nie empfunden. Doch kaum, daß er den einen Fuß in den Sarg setzen wollte, kam ein wilder Entschluß über sie. Sie fuhr in die Höhe und hielt ihn fest.
    »Geh' nicht hinein!« jammerte sie. »Bleib'! – Ich liebe Dich!«
    Er wehrte sich und strebte heftig nach der Truhe. Sie versuchte alles, ihn zu halten. Wäre der glockenförmige Rock ihr nicht im Wege gewesen, so hätten ihre kräftigen Schenkel ihn wie eine Zange ergriffen, aus der es kein Entrinnen gab; – so aber öffnete eine seltsame, drängende Spannkraft ihm, Ruck nach Ruck, den Weg ins ersehnte Ziel . . . Schon hatte er den einen Rosettenschuh über den Rand gehoben, als er auf einmal einen gräßlichen Schrei tat und als leblose Puppe in Désirées Armen hing. Es war derselbe Zustand, in dem die Gräfin Ponquille ihn in der vorvorigen Nacht aus der Truhe gezogen. Gleichzeitig war er federleicht geworden, als sei er mit Stroh oder Werg ausgestopft; sein Hals pendelte elastisch über der Krause; – sein Rückgrat, wunderlich biegsam, knickte in der Mitte ein. Désirée bettete ihn auf das Sofa, schloß das Fenster und sah ihn an.
    Sie setzte sich und preßte seinen Kopf an ihre Brust; und zugleich füllten sich ihre Augen mit Tränen. Das salzige Naß tropfte und tropfte ohne Aufhören aus ihren blauen

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