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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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dem ich wohne? – Nicht genau? – Nun: es liegt im alten Stadtviertel inmitten eines schmiedeeisern umfriedeten Gartens. Vier Zimmer habe ich da im ersten Stock einer Backsteinfestung einstigen Familienstolzes. Vor unserem gemeinsamen Schlafzimmer hinter einer Fenstertür finden Sie den Balkon . . . Das gebauchte Gitter hängt schwarz, nur von blutroten Weinblättern gesprenkelt, in der regenschweren Novemberluft. Ein Frühling kommt nicht mehr.
    Von dort aus blickt man auf Rondelle verwilderter Stechpalmen. Unten im Haus, wo es stets feucht ist, habe ich die absterbenden Überbleibsel der früheren Besitzer installiert: eine verrostete Greisin mit unverheirateter Tochter, deren Lebensjahre zusammengezählt hundertsechzig Jahre ergeben. Die Mutter ist nie sichtbar; die Tochter aber, ganz in morschem Lila, geistert noch im Spätherbst mit rostiger Gießkanne über die Wege und nimmt zerrupfte Astern in ihre Pflege. Kurz: es sind grabesruhige Mieter. Als Bedienung haben sie eine taube Spitalkandidatin, und so hört man nur etwas von ihnen, wenn diese in die Stadt geschickt wird. Marlies, die nie vor zehn aufstand, erzählte, man höre dann schrilles Quäken in ein taubes Ohr, es gemahne an die Laute landfremder Nagetiere. Zuweilen auch rührte sich drunten das Klimpern eines uralten Spinetts, so zimperlich und scheu, daß die Melodie an sich selber einging oder vom Regen überhaupt erstickt wurde. Als Schutz gab es einen gichtgeplagten Hausmeister mit einer großen Dogge, einem Bernhardiner, in dem scheinbar die Motten gehaust.
    Sie sehen aus all diesen Details, daß es nicht übermäßig munter um mein Haus bestellt ist. Vor allem ist es still – so erloschen, so philosophisch. Dieselbe alte Dame, die dort drunten noch atmet, hat vor siebzig Jahren auf meinem Balkon gesessen mit einem
Cul de Paris
. Das Stühlchen ist sicher ganz verschlungen worden von ihrem wolkig abgesteppten Schleppkleid und sie hat mit derselben Stimme, die heute klingt wie erdrosseltes Gezirp, mit Herren in Backenbärten geschäkert.
    Ich glaube, das Haus hatte es auf Marlies abgesehen. Kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag war's – wir hatten beide einen kleinen Exzeß in Punsch hinter uns – da kam diese »verschleppte Grippe« (wie Ihr Kollege Doktor Pinswang meinte) und sie mußte ins Bett. – »Kein Gedanke an Aufstehen.« – Ob er die Sache übertrieb und gerade das erzwungen Passive für das lebhafte Frauenzimmer schädlich wurde, sei nicht untersucht. Ihr Betätigungskreis war eingeengt und sie wurde. wenn ich in der Bank war, die Beute überflüssiger Grübeleien. Sonst hatte ihr mein Fernbleiben nie etwas ausgemacht. Sie hatte die Zimmer geheizt, aufgeräumt, gesäubert, zu Mittag eingeholt, gekocht; und nachmittags hatte sie ihre Lektionen gelernt oder geträumt, bis ich um sechs Uhr wiederkam. Ein bißchen blutarm, na ja . . . Sonst aber gesund. Für ihr Alter kräftig, gut entwickelt, groß; im Sommer immer im Garten . . . Stubenfarbe nur im Winter. Toll, wie? So plötzlich kann man sich hinlegen . . .
    Wir hatten einen Kater als dritten im Bunde, der bei uns aufgewachsen war. Er hieß Moloch, ein Siamese: gelblich silbergrau; Pfoten und Kopf wie in Teer gestippt; lächerlich kurzschwänzig. Ein teures Tier. Auf seinem schwarzen Antlitz besaß er ein paar intensiver, ein wenig unbehaglicher Augen. Und vor diesem Kater, ihrem sechsjährigen Spielkameraden, begann Marlies sich auf einmal zu fürchten. Gewöhnlich saß sie, wenn ich seit Beginn ihrer Krankheit mit dem Abendbrot nach Hause kam, im purpurnen Spielwinkel ihres leichten, doch zähen Fiebers, wie ein Kaninchen im Bau: in Kissen eingepackt, die Beine gekreuzt und mit geographischen Ausflügen auf ihrem Plumeau beschäftigt. Eines Abends – es war um sechs Uhr schon völlig dunkel – lag sie bei meiner Rückkunft reglos und starrte nach dem Dauerbrandofen hinüber, dessen Glut durch das halb offene Türchen drang und einen Schimmer auf den Teppich legte. Dort saß Moloch, ebenso reglos, und warf in kurzen Abständen voll gläsern starrer Raubtierverträumtheit Blicke zu Marlies hinüber. Seine Augäpfel glichen Juwelen.
    »Mark«^ flüsterte Marlies. – »Ich kann nicht mehr allein sein. Ich habe mich sehr gefürchtet.«
    »Nanu? – Vor Einbrechern?«
    »Nein, Mark. – Vor Moloch. – Sieh ihn dir an, wie er heuchelt. Wenn es im Ofen kracht, schauspielert er und stellt sich nervös. Doch als ich vorhin schlief, sprang er mir auf die Brust, daß ich

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