Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Beichte eines Sonderlings
Die Klausnerei
Verwunderlicherweise lebe ich noch.
Dies muß in Erstaunen setzen, wenn man hört, daß ich mehrere Male durch einen Zustand hindurchgegangen bin, der nichts anderes (ich prahle nicht!) als Tod bedeutet . . . mit all' dem dazugehörigen Zähnegeklapper, mit ankriechendem Frost, mit dem Schwebegefühl und der zerrinnenden Umgebung . . . Und dann dies Außer-sich-sein! – Hören Sie mir gut zu, meine Herren; es ist ein erstaunliches Erlebnis; es wird ein fürchterliches Fragezeichen durch die Tatsache, daß ich trotzdem noch »lebe« . . .
Hätte ich dies Fragezeichen siegreich am Schwanz packen können und zur Auflösung zwingen – ja, dann wäre alles gewonnen und wir wüßten, wüßten . . . Wenn nur die Katastrophe nicht erfolgt wäre, daß ich einen Blick durch das verbotene Fenster warf!!
Die »andere Ebene«! – Man kann das nur mit Flüsterworten sagen; hsch – hsch . . . Es ist zunächst ja nur ein Gedanke . . . Doch dann wird es real. Aus dem Zuschauerraum, aus unserer dummen dunklen Existenzform klettert man auf die Bühne, hinein in andersartiges Licht. Von dort blickt man zurück und hat den unerträglichen Anblick des leeren Kokons unten im Dunkel, der eignen gesprengten Hülle . . . Vielleicht ist dies falsch ausgedrückt, doch wer von uns, meine Herren, vermißt sich, ohne weiteres den passenden Ausdruck für solchen Zustand zu finden! – Kurzum: es ist eine Trennung da; und diese nennt man gemeinhin »Tod«.
Welchen Abgrund von Höllenpein durchkostet der Astralleib, wenn ein magischer Zwang in seine Ebene greift; wenn er den Befehlsschrei hört, den feindlich-fremden: »Lazare, komm hervor!!« – Dann muß er, fertiger Falter, zurückkriechen in die zersetzte Hülle, ins dumpfe zerfallende Haus, das schon alle Beschlagnahmesiegel der Verwesung trägt. Hat doch dieser Schock, meine Herren, mich selbst fast zersplittert, wenn ich in meine halb erloschene Puppe zurückkehrte, zu der sich nur noch hauchfeines Spinnenweb hinüberspann . . . Ich weiß jetzt, wie man es macht.
Ich werde hinausspazieren, wann es mir paßt, – dann aber auch draußen bleiben. Es tut halb so weh, dem Leib mit sardonischer Höflichkeit endgültig Adieu zu bieten, als zurückkriechen in den verhaßten Hampelmann. Das Wegbleiben ist ein Vergnügen im Vergleich zur tobenden Angst hinter den drosselnden Gitterstäben der Körperlichkeit. Darum sage ich Ihnen: ich bin bis jetzt im Leib geblieben, um Ihnen und der Menschheit einen Gefallen zu tun. Nämlich: seit unvordenklichen Zeiten ist man immer ungeheuer erpicht darauf gewesen, Positives über das »Fortleben« zu erfahren. Ich bin in der Lage, Ihnen einiges Endgültiges mitzuteilen; ich kenne das Drum und Dran . . . Nette Theorien hat man ja; wie die Pilze sind Spekulationen und religiöse Kartenhäuser seit jeher aufgeschossen auf dem ewigen Dünger dieser Neugier. Allerlei Mystagogen haben sich längst denselben Spaziergang geleistet. Sie erzählten davon in ihren Worten; doch die Zeit entwertet Worte! Selbst feste Begriffe – werden sie nicht dem Ohr der Jahrhunderte zur Mode? Immerhin – das Verständnis der Gegenwart ist besser geschult. Aufnahmebereiter, hellhöriger – nicht mehr blinder Magie ausgeliefert . . . Vielleicht bleibt also etwas hängen, etwas Nachprüfbares ; und wenn Sie ein Resultat haben, meine Herren, dann sperren Sie's in Gottes Namen in Ihren terminologischen Stall . . .
Also: es ist kein Wunder, daß ich Marlies so liebte. Sie war in jeder Bewegung, jeder Miene, jedem Wort ein absolutes Ebenbild meiner verstorbenen Frau. Meine Frau starb – ob Sie sich dessen noch entsinnen? neunzehnjährig an der Geburt dieser Tochter. Sie fühlte ihren Tod im voraus, denn sie sagte mir: »Weine nicht, Mark. Du hast ja Marlies. Nach einer Weile ist sie groß und du bist nicht mehr einsam.«
Ich habe meine ganze freie Zeit, die mir die Bank ließ, dem Kind gewidmet. Nur dem Kind. Nur in den ersten Jahren, solange Marlies noch unmündig war, nahm ich einen Dienstboten. Ich wußte von nichts und dachte an nichts; nur das Kind war da . . . Man hat mich für einen ungeselligen, langweiligen Patron gehalten; mit Recht. Ich habe das Kind allein auferzogen. Sie saß in einem gläsernen Haus, und ich patrouillierte knurrend davor auf und ab wie ein Tempelhund.
Ein begabtes Mädchen, diese Marlies. Sie steckte voller Humor . . . Schon mit sechs Jahren tat sie Äußerungen, die
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