Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
Übelkeit verursachte. Philippa krümmte sich, riß die Hand vor Mund und Nase, doch es war zu spät. Von Krämpfen geschüttelt, wankte sie zurück und erbrach sich über der steinernen Schwelle. Sie hatte geglaubt, den Anblick ertragen zu können. Schließlich hatte der stets mürrische Verwalter sie ebensowenig gemocht wie sie ihn. Doch sie täuschte sich. Ein tiefes Schluchzen entwich ihrer Kehle. Golfrieds Tod war kein Zufall gewesen. Sie wußte, daß Abekke ihre Hand im Spiel hatte, aber wie sollte sie dies jemals beweisen?
    »Ich habe euch gewarnt, Jungfer von Bora! Dies ist kein Anblick für eine Frau«, hörte sie Gabriel Prinz ohne jede Häme sagen. Er machte sich Sorgen um sie, und plötzlich war sie ihm dankbar, daß er sie nicht allein zur Abtei hatte gehen lassen. Fürsorglich half Gabriel ihr auf die Beine. Dann knüpfte er seinen Lederschlauch von der Hüfte, zog den Stopfen heraus und führte den Schlauch an Philippas Lippen. Das Wasser war eiskalt, und Philippa spürte jeden einzelnen Tropfen, der ihre Kehle herunterrann.
    »Ich kann nicht anders«, gab sie keuchend zurück. »Und wenn es mich … umbringt …« Sie nahm ihre Haube vom Kopf und verhüllte mit dem steifen, weißen Tuch ihre Nase.
    »Darf man wenigstens fragen, was Ihr sucht? Das rote Wundmal auf seiner Hand sollte Euch eigentlich genügen!«
    »Als unser Verwalter das Gut verließ, trug er Dokumente bei sich, die mein Vater ihm anvertraut hatte. Gewöhnliche Straßenräuber durchsuchen ihre Opfer nach Gold und Wertgegenständen! Von Papieren haben sie keinen Nutzen!« Langsam näherte sie sich der Gestalt auf der Bahre. »Vielleicht stecken sie noch in seinem Wams.«
    Gabriel Prinz öffnete verblüfft den Mund, und der spöttische Zug, der für gewöhnlich seine vollen Lippen umspielte, verlor sich. »Was tut Ihr da?« stöhnte er. »Ihr könnt den Toten unmöglich entkleiden!«
    Philippa wandte den Kopf. »Keine Angst, das habe ich auch nicht vor. Diese Aufgabe überlasse ich der Geschicklichkeit eines ausgewiesenen Komödianten und versfußkranken Dichters!«
    Es war das Tollkühnste, was Gabriel Prinz eine Frau jemals hatte sagen hören. Das Mädchen schien keine Ahnung zu haben, was geschehen konnte, wenn Pfarrer Leuthold und die Dorfbewohner in dieser Nacht auch nur die geringste Veränderung am Körper oder der Kleidung des vermeintlichen Wiedergängers wahrnehmen sollten.
    Gabriel Prinz rang nach Luft. Er fragte sich, ob er in einem Alptraum gefangen war, und wie es sein konnte, daß eine Fremde plötzlich Macht über ihn gewonnen hatte. Dabei hatte sie ihm nicht einmal in die Augen geblickt. Es lag vielmehr etwas in ihrer Stimme, ein unergründliches Verlangen nach Widerstand, das ihm beschied, wie ernst es ihr mit dieser Sache war. Diese Nichte Luthers konnte rücksichtslos sein, soviel stand fest. Aber vielleicht war es gerade dieser Umstand, der sie so unerhört anziehend erscheinen ließ. Gabriel hustete und spuckte mehrmals aus, bevor er seine Sackpfeife ablegte und an die Bahre trat. Mit einer Hand hielt er sich die Nase zu, während die andere sich ihren Weg bahnte, das zerschlissene Wams des Toten entlang.
    »Warum haltet Ihr ein?« rief Philippa, als seine Finger zurückschreckten. »Habt Ihr etwas entdeckt?«
    »Wenn Ihr's so nennen wollt? Euer Verwalter ist jedenfalls nicht erschlagen worden. Die Prellungen an seinem Schädel haben nicht zum Tode geführt. Die Stichverletzung an seiner Brust schon eher. Der Wundkanal ist sehr dünn, zu dünn für ein Schwert. Ich vermute, es war eine spanische Klinge, die ihn durchbohrte.«
    »Eine spanische Klinge«, wiederholte Philippa in Gedanken. Sie konnte sich denken, wer Golfried auf dem Gewissen hatte, aber es würde schwer werden, einen Beweis zu finden.
    »Mir scheint, daß dieser Mann einem Ritter oder Kriegsknecht in die Quere kam. Klingen dieser Machart finden selten ihren Weg in die Hände eines einfachen Straßenräubers«, sagte Gabriel Prinz. Geschickt wie ein Taschendieb ließ er seine schlanken Finger unter die Innenseite des Rockes gleiten. In Windeseile tasteten sie das mit dünnem Pelz gefütterte Tuch ab. »Ihr hattet recht, Jungfer. Hier ist eine Tasche im Stoff, aber sie ist aufgetrennt und … leer. Keine Papiere, kein Gold, gar nichts! Dürfte ich nun …«
    Der Musikant sprach nicht weiter. Als Philippa etwas entgegnen wollte, hieß er sie mit einer energischen Geste zu schweigen. Er kniff die Augen zusammen und wandte sich dem Eingang zu. Im

Weitere Kostenlose Bücher