Die Magistra
Bedenken, ihr mein Kind anzuvertrauen. Zumal mein Gatte für sie bürgte.«
»Dann hat Euer Gatte Maria geholfen, Rauhfeld zu verlassen?«
»Aber nein!« Die Frau schüttelte den Kopf. »Eines Morgens lag er kalt und steif neben mir. Niemals werde ich den Ausdruck von Entsetzen in seinen Augen vergessen. Maria verließ das Dorf noch vor dem Begräbnis. Wenig später tauchten die ersten Gerüchte auf, mein Mann sei an der Straße nach Magdeburg gesehen worden. Natürlich tat ich sie als bloßes Gerede ab.«
»Bis Eure Nachbarn die Leiche zwischen den Dornbüschen entdeckten«, flüsterte Philippa geistesabwesend. Sie hatte plötzlich das Gefühl, mit ihrer Suche nach den Hintergründen des Mordes an Maria Lepper auf der richtigen Spur zu sein.
»Pfarrer Leuthold ist heute gleich nach Tagesanbruch in die Stadt geritten, um einen Magenstein zu besorgen«, flüsterte die Wirtin wie eine Verschwörerin. »Mit dessen Hilfe will er nun überprüfen, ob der Mann oben in der alten Abtei ein Dämon oder Wiedergänger ist. Ich kann nur hoffen, daß Leuthold in seinem Wahn die Grabstätte meines armen Gatten in Frieden läßt. Die Bauern hier hören auf ihn. Kaum einer traut sich noch in meine Schankstube.«
Die beiden Frauen betraten gemeinsam das Haus. In der Schankstube kniete ein junger Bursche von kaum sechzehn Jahren auf dem Fußboden und untersuchte das Spundloch eines Bierfasses. Als er seine Herrin eintreten sah, sprang er eilends auf die Füße, schleppte das Faß an seinen Platz zwischen die rußgeschwärzten Stützbalken zurück und verschwand schließlich hinter einem Vorhang, der mit Vogelmotiven bestickt war. Auf der blankgescheuerten Tafel neben dem Ausschank stand ein mit Wasser gefüllter Bottich, in dem Holzschüsseln, Schaumlöffel, Hackmesser und Kannen einweichten. Mit einem Seufzer krempelte die Wirtin ihre Ärmel hoch und griff mit beiden Händen in den Bottich.
»Wie gut kanntet Ihr die Lepperin?« fragte Philippa. »Hat sie lange in Rauhfeld gelebt?«
»Eigentlich kannte sie keiner richtig, und wenn es nach mir gegangen wäre, so hätte sie mein Haus niemals betreten. Der Dorfvorsteher hingegen hatte einen Narren an dem Mädchen gefressen, er glaubte, die Kleine beschützen zu müssen, weil sie doch mutterseelenallein aus Straßburg zu uns gekommen war. Er war mir ein guter, treuer Ehemann, und doch glaubte ich zuweilen, daß er mit der Lepperin ein Geheimnis teilte, das er nicht einmal mir, seinem eigenen Weib, anvertrauen wollte.«
Philippa spürte plötzlich ein Rauschen in ihren Ohren. Erschöpft ließ sie sich auf einer der flachen Bänke nieder und fuhr mit der Hand durch ihr widerspenstiges Haar. Wenn sie der Gastwirtin Glauben schenkte, so hatte Maria Leppers Weg nach Wittenberg gar nicht in Rauhfeld begonnen. Sie war aus der Reichsstadt Straßburg zugewandert, um sich bei den Bauern dieses kleinen Dorfes niederzulassen. Oder um sich in ihren Hütten zu verstecken. Ihr gefährliches Geheimnis hatte sie allerdings auch in dieser Einöde nicht zur Ruhe kommen lassen. Es hatte sie eingeholt – kurz nach Maria Himmelfahrt mußte dies geschehen sein – und weiter getrieben, über die staubigen Landstraßen bis Wittenberg. Und noch eine weitere Unstimmigkeit beschäftigte Philippa. Ihre ehemalige Gehilfin hatte im Haus des Dorfvorstehers als Amme gedient. Hieß das nicht, daß sie selbst ein Kind geboren haben mußte? Was aber war aus diesem Kind geworden?
Philippa fragte die Wirtin nach dem Kind, doch die Frau schüttelte nur müde den Kopf, während sie noch immer mit dem Geschirr im Wasserbottich hantierte. Sie wußte nichts von einem Kind der Lepperin. Ihr Mann hatte ihr lediglich erzählt, das Mädchen sei in Straßburg mit einem Kriegsknecht verheiratet gewesen, der sein junges Leben bei einem Scharmützel vor den Stadtmauern eingebüßt habe.
»Ich hatte doch keinen Grund an den Worten meines Gatten zu zweifeln«, klagte die Wirtin. »Außerdem brauchten wir sie für den Kleinen. Ich bin zu alt für ein Kind, und mein Schwager, der einzige Bruder meines Mannes, hat keinen Finger gekrümmt, um uns zu helfen. Dabei gehört er dem geistlichen Stand an!«
Irritiert folgte Philippa dem Geräusch von klirrenden Humpen, das aus der Küche herausdrang. Dann fragte sie: »Habt Ihr zufällig ein Bild Eures verstorbenen Gatten im Haus? Ein Portrait oder eine Zeichnung?«
Die Wirtin starrte sie mürrisch an. »Ölgemälde sind etwas für reiche Leute. Einmal hat ein Gast meinen Mann mit
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