Die Magistra
sich erleichtert, frisch und ausgeruht, wie nach einem langen Schlaf. Auch die Augen des Gauklers wirkten nun nicht mehr, als besäßen sie einen besonderen Zauber. Philippa atmete tief ein und fuhr sich mit den Fingern über ihr rechtes Handgelenk. Sie brauchte einige Momente, um sich zu sammeln, dann fuhr sie den Musikanten zornig an: »Was zum Teufel habt Ihr mit mir gemacht? Ihr habt mir Euren verdammten Willen aufgezwungen. Ihr seid ein Drudner, ein Hexenmeister!«
Gabriel Prinz lachte amüsiert auf. Dabei sah er aus wie ein Scholar, der von seinem Magister bei einem Streich ertappt worden war. »Seid mir nicht böse, Jungfer von Bora. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, Euch auf den Zahn zu fühlen. Zu Eurer und meiner eigenen Sicherheit, wie ich betonen möchte. Was glaubt Ihr, werden die Dorfbewohner mit Euch, einer Fremden, anstellen, wenn sie Euch auch nur in der Nähe des vermeintlichen Teufelsbuhlen aufgreifen?«
Wütend funkelte Philippa den Musikanten an, doch sie mußte zugeben, daß er die Wahrheit sprach. Sie war viel zu unüberlegt an ihr Vorhaben herangegangen. Außerdem blieb ihr nur noch wenig Zeit, um sich davon zu überzeugen, daß es tatsächlich der Diener ihres Vaters war, der dort oben auf dem Hügel lag. Das Geschäft in Rauhfeld war getätigt, der Wagen mit Sämereien und getrockneten Heilkräutern beladen. In Kürze würde Katharina erwachen und die Pferde anspannen lassen.
»Nun gut«, sagte sie schließlich, »so kommt eben mit!«
Gemeinsam erklommen sie den Hügel und hielten sich dabei auf dem immer steiler werdenden Trampelpfad, bis der Wald auf einmal lichter wurde und die Umrisse eines verfallenen Gebäudes vor ihnen auftauchten. Philippa zog die Kapuze ihres Umhangs tief in ihr Gesicht. Die Atmosphäre war düster, beinahe bedrückend. Der mächtige Glockenturm der ehemaligen Abtei war bis auf die Grundmauern heruntergebrannt. Vom Kreuzgang standen nur noch einige gotische Rundbögen, zwischen denen Vögel ihre Nester bauten, und durch die hohlen Fensteröffnungen der ehemaligen Sakristei wucherten dürre Brombeersträucher.
»Noch vor wenigen Jahren pilgerten die Rauhfelder zur Abtei, um dem Bruder Cellarius ihren Zehnten abzuliefern«, erklärte Gabriel Prinz leise. »Heute glauben die meisten von ihnen, daß der Leibhaftige selbst hier hofhält. Seht Ihr die Mauernische neben dem zerfallenen Tor?«
Philippa sträubten sich die Haare, als sie die kleine Vertiefung entdeckte. Eingesponnen in einen Kokon aus Schmutz, Strauchwerk und Spinnweben erkannte sie die Überreste einer männlichen Figur aus Stein, deren leblose, kalte Augen über den ehemaligen Klostervorhof starrten. Die aufrührerischen Rotten hatten mit dem Schutzpatron der Abtei, mit dem sie offensichtlich ihr eigenes Leid in Verbindung brachten, kurzen Prozeß gemacht. Anstelle von Armen ragten nur noch zersplitterte Stümpfe aus dem Leib. Nase und Ohren waren in blinder Wut aus dem Stein gehauen worden. Allein die walnußgroßen Augen des Heiligen hatte keiner der Wütenden angerührt.
»Es wird erzählt, als der Anführer der Rotte seinen Hammer erhob, um den Steinkopf zu zerschmettern, fiel das Eisen vom Stiel und brachte ihm eine schwere Wunde bei. Ich weiß allerdings nicht, ob diese Geschichte der Wahrheit entspricht oder nur ein Märchen ist.« Gabriel maß sie mit einem Blick, aus dem Verwirrung sprach. »Seid Ihr sicher, daß Ihr das Gebäude betreten wollt?«
»Hierzulande scheinen sich die Leute nur zu gern ihre eigenen Märchen zu schaffen«, erwiderte Philippa. Mit einer raschen Handbewegung hob sie den Saum ihres Kleides an und stieg über einen Haufen aus Schutt und Scherben, um sich einen Weg in den offenliegenden Chorraum zu bahnen.
Golfried, oder vielmehr das, was von seinem geschundenen Körper übriggeblieben war, lag aufgebahrt auf einem rechteckigen Sockel in der Mitte des Raumes. Der Leichnam war völlig bekleidet. Seine blutigen Arme und Beine hatte man mit Hanfseilen an vier in den Boden gerammten Pflöcken befestigt. Vor der Bahre erhob sich ein gewaltiges Holzkreuz aus einem Kreis von heruntergebrannten Wachskerzen und Talglichtern. Die wenigen noch aufrecht stehenden Säulen und Mauern des Raumes trugen lateinische Inschriften: Psalmen oder Fürbitten, die das Böse an diesem entweihten Ort festhalten und es nicht über das nahe Dorf hereinbrechen lassen sollten.
Während Philippa noch unschlüssig am Eingang verharrte, wehte ihr ein Geruch in die Nase, der ihr sogleich
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