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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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einem Kohlestück gezeichnet, weil er seine Zeche nicht zahlen konnte. Mein Mann hat den Fetzen genommen und kein Wort mehr über die Schuld verloren. So war er eben!«
    »Und wo ist die Zeichnung?«
    »Die hing über dem Türrahmen zur Gaststube. Doch eines Tages hat mein Mann sie genommen und ins Feuer geworfen.«
    Mit diesen Worten ergriff sie ein Tuch vom Schanktisch, trocknete sich die Hände und verließ dann die Stube. Philippa blickte ihr verwirrt hinterher. Sie konnte nur hoffen, daß die Frau sich nicht bei Katharina über die Neugierde ihrer Begleiterin beschwerte.
    ***
    »Eine junge Dame Eures Standes sollte keinesfalls ohne männliche Begleitung diesen Hügel besteigen, Herrin!«
    Überrascht wandte Philippa sich um und erblickte Gabriel Prinz. Der Musikant mußte ihr lautlos durchs Dickicht gefolgt sein. Er trug ein leuchtend rotes Wams, einen Schlauch aus Ziegenleder am Gürtel sowie ein Paar Stiefel aus Kaninchenfell, die ihm bis zu den Kniekehlen reichten. Über der Schulter baumelte seine Sackpfeife. Als er bemerkte, daß Philippas Staunen sich in Ärger zu verwandeln drohte, zog er seine Kappe und schenkte ihr ein fröhliches Lächeln.
    Sie standen auf halber Höhe des Weges, den die Prozession der Bauern in der vergangenen Nacht zurückgelegt hatte. Philippa war überzeugt gewesen, daß keine Menschenseele von ihr Notiz genommen hatte, als sie die Schenke verlassen und den schmalen Pfad am Dreschplatz vorbei zum Gottesacker eingeschlagen hatte. Die Bauern arbeiteten außerhalb des Bannzauns, wahrscheinlich hatten sie ihren wöchentlichen Frontag zu leisten, und ihre Tante hatte sich für eine Stunde hingelegt, um den Strapazen der Rückreise ausgeruht zu begegnen.
    Aus einem Bretterverschlag vor den Pferde- und Schweineställen, auf dessen Außenwand mit Farbe ein Amboß, das Zunftzeichen der Schmiede, aufgemalt war, quoll schwarzer Rauch. Dumpfe Hammerschläge dröhnten über den Platz. In der Hütte daneben sangen zwei Mädchen eine altertümliche Weise, bis sie, von einer Greisenstimme gescholten, jäh verstummten.
    »Ihr habt Eure Augen wohl überall?« rief Philippa, unschlüssig, ob sie lachen oder sich ärgern sollte. Zum ersten Mal fand sie die Gelegenheit, die Gestalt des Musikanten bei Tageslicht zu sehen. Das dichte Haar des Mannes war bereits von Silberfäden durchzogen. Im Licht der Sonne schien er bedeutend älter als bei nächtlichem Kerzenschein, und doch bewegte er sich so wendig und verspielt wie ein Jüngling. »Im Ernst, Spielmann, Ihr müßt mich nicht begleiten, ich hatte lediglich beabsichtigt …«
    »… die Leiche des Erschlagenen anzusehen«, unterbrach Gabriel sie. Mit einem Schlag wich die gute Laune aus seinem Gesicht. »Ihr habt den Kerl gekannt, nicht wahr? Das habe ich bereits gestern abend in Euren Augen gelesen.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Ihr seid keine Krämerin? Wer seid Ihr wirklich?«
    Philippa wich dem Musikanten aus. Der Boden war feucht und schimmerte grünlich wie ein Waldsee. Hier und da lagen verkohlte Holzscheite, Reste der Brandfackeln, welche die Bauern achtlos zurückgelassen hatten. In den Gräben zu beiden Seiten des Pfades ragten Schilfhalme aus dem Sumpfwasser. Philippas Atem beschleunigte sich. Als sie Gabriel in die Augen sah, ging ihr unversehens ein Schauer durch Arme und Beine. Irgend etwas stimmte nicht mit seinen Pupillen. Sie waren zu groß und zu tief und besaßen Linien, die sich zu funkelnden Kreisen schlossen. Die Magistra versuchte, die Augen zu schließen, um sich den tänzelnden Kreisen zu entziehen, die sie in ihren Bann zogen, doch es war vergeblich.
    »Ich bin keine Krämerin«, flüsterte sie schließlich, wobei sie ihre eigene Stimme nicht wiedererkannte, »sondern Philippa, eine Nichte der Katharina von Bora, der Ehefrau Doktor Luthers aus Wittenberg!«
    »Und der Tote, der oben im alten Chorraum liegt?« wehte ihr die melodiöse Stimme des Musikanten entgegen. »Ist er Euch bekannt?«
    Philippa wollte der lockenden Stimme nicht antworten, spürte jedoch in jeder Faser ihres Leibes, daß es zwecklos war, sich zu widersetzen. Ihr Körper schien förmlich über dem Waldboden zu schweben, und ihre Zunge hatte ein Eigenleben entdeckt, dem ihre Verstandeskraft nichts entgegenzusetzen hatte. »Er war … Verwalter auf dem Gut meines Vaters. Golfried wollte nach … Magdeburg. Seine Papiere …«
    »Ich verstehe.« Der Musikant ergriff Philippas Hand. Mit einem Schlag fiel alle Anspannung von ihr ab. Sie fühlte

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