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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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schickte. Sie sah Sebastians Entsetzen und Abekkes Abscheu, aber nichts davon ging ihr wirklich nahe. Als sie die Tür ihrer Kammer hinter sich ins Schloß fallen hörte, ahnte sie, daß ihr Vater die Nacht nicht überleben würde.
    Bedrückt öffnete Philippa die ledernen Schnüre ihres Mieders und streifte sich die unbequeme Robe von den Schultern. Roswitha wußte, daß sie den kratzigen Wollstoff nicht mochte, auch wenn die Amme ihn mit frischen Kräutern in ein freundliches Blau getaucht hatte. Sie ging um ihr Schreibpult herum in den schmalen Erker und öffnete das Fenster. Der Färberwald wuchs direkt unter ihrer Kammer. Doch Philippa konnte seine Blätter nicht sehen, weil sie unter einer dicken Schicht gefrorenem Lehm begraben lagen. Die Dunkelheit schien das Rittergut in schwarze Farbe getaucht zu haben. Nicht einmal der Turm der Katharinenkapelle, die Philippa seit ihrer Kindheit nicht mehr betreten durfte, war zu sehen. Erst als das Mädchen sich weit aus dem Fenster über den Hof beugte, erkannte sie die zwei schwarzen Krähen, die stumm und reglos auf dem hohen Dachfirst kauerten.

4. Kapitel
    Der Medicus aus Borna war ein älterer Mann, der seine geringe Körpergröße mit einem riesigen Federhut auszugleichen versuchte. Als er die Halle der von Boras betreten hatte, hatte er hochmütig und sogar ein wenig gelangweilt gewirkt. Nun aber, da die Diagnose keinen Zweifel offenließ, war er kleinlaut, schnitt nervöse Grimassen und konnte gar nicht schnell genug aus der Krankenstube kommen.
    Unter Sebastians und Philippas Fragen wand sich der Arzt und suchte Ausflüchte. Was sollte er den beiden jungen Menschen auch sagen? Ihr Vater lag im Sterben, da half auch seine ärztliche Kunst nicht mehr. Der Gutsherr hatte Blut gespien, was bedeutete, daß der tödliche Hauch seine Lungen bereits erreicht hatte. Seine Säfte waren im Ungleichgewicht. Zu viel gelbe Galle. Das Fieber würde in den nächsten Stunden steigen und dann …
    »Ich habe die Beulen unter der Armbeuge aufgestochen und das üble Sekret ausfließen lassen«, erklärte der Medicus. »Danach flößte ich ihm Mandelbrühe mit Beifuß ein und ließ von seinem Leibdiener die Kammer mit Wacholder ausräuchern. Das solltet Ihr im übrigen auch mit Eurer Halle tun. Verbrennt alle Kleider, die Euer Vater getragen hat und …« Der Arzt zögerte, weil Philippas grimmiges Schnauben ihn verunsicherte.
    »Warum hast du den Schrank hierher rücken lassen, Sebastian? Willst du damit etwa Vaters Tür verbarrikadieren?«
    »Jungfer, ich muß darauf bestehen, daß niemand die Kammer des Kranken betritt«, mischte sich der Medicus ein. Die Federn seines Hutes wippten zur Bestätigung, was auf Philippa einen beinahe lächerlichen Eindruck machte. Außerdem lispelte er beim Sprechen durch eine Zahnlücke, die er entweder einem zu harten Kanten Brot oder einem unzufriedenen Patienten verdankte.
    »Ich habe Eurem Bruder bereits erklärt, daß jede Berührung eines Siechen den Todessamen auf die Gesunden übertragen kann. Sollte der Erkrankte in zwei Tagen noch am Leben sein, werde ich ihn zur Ader lassen!«
    Sebastian griff sich mit zitternder Hand an die Kehle. Er hatte verstanden, was der Arzt meinte. Hier ging es nicht mehr allein um das Schicksal seines Vaters. Das Leben aller Hausbewohner hing an einem seidenen Faden. Verwirrt schaute er zu seiner Schwester hinüber, die eine flache Schale mit einem Talglicht vom Regal nahm und es mit einem Brennspan entzündete. Doch dann schlug er mit der Faust gegen das dunkle Holz des hohen Waffenschrankes und warf dem Arzt einen vielsagenden Blick zu.
    »Packt mit an, Medicus! Der Schrank kommt vor die Tür. Niemand betritt mehr die Stube. Später werde ich Golfried anweisen, ein Loch ins Holz zu stemmen, damit wir Vater frisches Wasser und Nahrung durchreichen können.«
    Philippa warf den noch glimmenden Brennspan voller Zorn auf die Holzdielen.
    »Paß gefälligst auf, Schwester!« herrschte Sebastian sie an. »Es fehlt mir gerade noch, daß du uns den roten Hahn aufs Dach setzt.«
    »Ich gehe hinein, Sebastian. Wenigstens bis unter den Türsturz. Ich muß Vater noch einmal sehen. Ein letztes Mal mit ihm sprechen.«
    »Das werde ich nicht zulassen, Philippa!« Sebastian packte seine Schwester am Arm und schüttelte sie grob. »Du hast doch gehört, was der Medicus gesagt hat. Aber vielleicht hast du ihn nicht verstanden, weil er mit mir Einfaltspinsel in der Sprache des gemeinen Volkes geredet hat. Vielleicht möchtest

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