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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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selber mit Golfried über den Schadenslisten gesessen und sich das Hirn zermartert hatte, wie er seine Schulden begleichen konnte. Die Demütigung vor den Medewitzern war letztendlich umsonst gewesen. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Und ihm, Sebastian, kam es nun zu, das Gut aufzuteilen wie die Henkersknechte zu Golgatha, die um das Gewand des Herrn würfelten.
    »Was hast du jetzt vor, Sebastian?« Abekke stand direkt hinter ihm. Er fuhr herum und ergriff ihre Hände. Die stickige Luft ließ ihn kaum atmen. »Ich werde alles überprüfen … noch heute«, stammelte er schließlich. »Jede Speckseite werde ich zählen, jedem Heller nachgehen. Mein Vater ließ schließlich auch nichts unversucht, um Lippendorf zu halten.«
    »Gewiß, Liebster«, erwiderte Abekke und hauchte ihm einen Kuß auf die Lippen. »Aber du weißt selbst, daß dies nur gelingen kann, wenn wir Lippendorf und Medewitz vereinigen. Unsere Güter gehören nun einmal zusammen.«
    »Ja, doch … was soll dann aus Philippa werden?« Sebastian verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln. Ein Gefühl der Ohnmacht drohte ihn zu überwältigen. »Ich meine … sie wird nicht gerade begeistert sein, ihren Erbsitz auf Gut Lippendorf einzubüßen.«
    »Laß das nur meine Sorge sein, Sebastian. Um deine kleine Schwester werde ich mich kümmern!« Mit sanftem Zwang löste Abekke Sebastians breiten Ledergürtel und zog ihn langsam, aber fordernd an den Hüften in den Schatten des Rauchfangs.
    ***
    »Komm mir nicht zu nahe Philippa, ich warne dich!« Nikolaus von Bora wehrte seine Tochter schwach mit beiden Händen ab. »Stell den Krug auf die Truhe, ich werde ihn schon erreichen, wenn ich durstig bin.«
    Philippa zögerte einen Augenblick und staunte über sich selbst. Ihre Angst vor der Seuche war wie weggeblasen. Ihr Kopf war klar, und der Schmerz im Gesicht, wo Sebastians Hand sie getroffen hatte, klang allmählich ab. Sie tat, was ihr Vater sie geheißen hatte, und setzte den Zinnkrug mit Wein, der gegen Nikolaus' Schmerzen mit einigen Heilkräutern versetzt war, auf der italienischen Eichentruhe ab. Danach rückte sie das schwere Möbelstück näher an das Krankenlager.
    »Ich danke dem Herrn, daß ich dich noch einmal sehen durfte, Tochter. Irgendwie spürte ich es in meiner Brust, daß du wieder ungehorsam sein und dich den Anordnungen deines Bruders widersetzen würdest. Nur …« Ein pfeifender Husten unterbrach den alten Mann. Seine hohe Stirn über den leicht schräg stehenden Augen glänzte vor Schweiß. Philippa schlug entsetzt die Hände vor die Brust und überlegte, ob sie nicht das Holzkreuz von der Wand nehmen sollte, um es ihrem Vater zu reichen. Nikolaus von Bora war stets ein frommer Mann gewesen. Er hatte der heiligen Kirche hohe Schenkungen zukommen lassen, doch nun, in der Stunde seines Todes, war er ohne jeden geistlichen Beistand. Nicht einmal den neuen Prediger hatte Sebastian verständigt.
    »Heute danke ich dir für … für deinen Ungehorsam, Tochter«, preßte Nikolaus hervor, während sich seine hageren Finger vor Qual in das zerknitterte Laken gruben. Philippa sprang zur Truhe, füllte einen Becher mit Wein und half dem Kranken, ihn zu leeren. Nach wenigen Zügen legte sich der Hustenreiz. Zurück blieb nur eine Spur feiner Blutstropfen, die das Kissen sprenkelte.
    »Abekke von Medewitz …«
    »Du willst Abekke sehen, Vater?« Mit ungläubigem Blick stellte Philippa den Becher zurück auf die Eichentruhe. Sie schluckte, als ihr klar wurde, daß sie ihren Vater zum ersten Mal in ihrem Leben geduzt hatte. Reumütig schlug sie die Augen nieder, doch Nikolaus von Bora machte keine Anstalten sie zu tadeln. Und mit Abekke sprechen wollte er erst recht nicht. Nikolaus berichtete, er habe beobachtet, wie Abekke noch vor der Ankunft des Medicus seine Sachen durchsucht und verschiedene Papiere an sich genommen hatte.
    »Mein zweites Testament hat sie nicht gefunden, Philippa. Golfried bewahrt es in seiner Schreibstube auf dem Regal mit den Wachssiegeln auf, um noch ein paar Noten nachzutragen. Du mußt … dich beeilen, ehe Abekke und ihre verdammte Sippe meinen Letzten Willen in die Finger bekommen. Auch wenn Sebastian das Gut übernimmt, wirst du immer das Haus- und Hofrecht in Lippendorf haben. Viel mehr kann ich dir nicht hinterlassen, nur noch eines …« Er verstummte, um Luft zu holen.
    »Du darfst nicht so viel reden, Vater.« Philippa erhob sich, um das Fenster zu schließen. Ihr Verstand versank in einem Meer

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