Die Magistra
und zwei weitere Diener angewiesen, den alten, zerrissenen Teppich von der Wand zu nehmen und statt dessen das Gastgeschenk seiner Braut anzubringen. Die kunstvolle, in grünen, roten und braunen Tönen gehaltene Stickerei stellte eine höfische Jagdszene dar: eine Gruppe von Edelleuten mit Jagdhörnern und einer Hundemeute, die mit drei prunkvoll gekleideten Damen aus einem Wald auf eine Lichtung galoppierten, um einen Hirsch zu verfolgen. Sebastian war begeistert, weil Abekke seine Leidenschaft für die Jagd nicht vergessen hatte. Selbst Nikolaus von Bora fand artige Dankesworte. Erst als er auf der unteren Hälfte der Tapisserie das geschwungene Wappen der Medewitzer entdeckte, schwieg er bestürzt und schlug seinen Becher hart auf die blanke Tischplatte.
Philippa sog scharf die Luft ein. Sie sah, wie ihr Vater erbleichte und Golfried sich ängstlich der Tafel näherte. Der Abend versprach spannend zu werden.
»Ich fürchte, Sebastian hat das gute Stück ein wenig voreilig aufhängen lassen!« Abekke erhob sich und lief mit gemessenen Schritten um die Tafel herum. Sie ergriff eine Kerze aus einer der Fensternischen und leuchtete einige Stellen des stattlichen Behanges ab. »Hier! Genau an dieser Stelle werden meine Näherinnen das Wappen Eures Hauses anbringen, Schwiegervater. Seht Ihr die Zweige des Baumes, hinter welchem das Damwild verschwindet? Ich dachte mir, er soll für Sebastian und mich eine Art Stammbaum werden, um künftigen Generationen Eurer Familie zu zeigen, aus welch edlen Häusern sich das Geschlecht der von Boras zusammensetzt.«
Einen Herzschlag lang herrschte gespanntes Schweigen in der Halle. Nur das Feuerholz im Kamin knirschte vor sich hin. Dann stand Nikolaus von Bora auf, maß die Braut seines Sohnes mit einem durchdringenden Blick und neigte sein ergrautes Haupt in ihre Richtung. Ein Jubel erscholl an der Tafel. Sebastian sprang auf, lief auf Abekke zu und umarmte sie stürmisch. Golfried kicherte aufgeregt, klapperte mit seinen Schlüsseln und beglückwünschte seinen Herrn.
Philippa hatte sich ebenfalls erhoben. Fassungslos verfolgte sie, wie Sebastian Abekke zur Tafel zurückgeleitete und ihr, ohne zu zögern, den Platz ihrer verstorbenen Mutter am Kopfende anbot. Wütend ballte sie die Fäuste unter der Tischplatte. Der hohe Lehnstuhl mit dem Pelzkissen war seit dem Tod von Francesca von Bora leer geblieben. Niemand hatte es jemals gewagt, ihn auch nur hervorzuziehen. Philippa und Roswitha waren die einzigen, die hin und wieder vorsichtig das kühle, braune Holz polierten, um dessen Glanz zu bewahren. Als Kind hatte Philippa sich manchmal vorgestellt, sie könnte die Mutter auf deren Stuhl zurückwünschen, wenn sie ihre Augen schloß, die Hände wie in der Messe faltete und ganz fest an ihr Erscheinen glaubte.
Wie eine Königin nahm Abekke von Medewitz auf dem hohen Stuhl Platz. Graziös lächelte sie in das versteinerte Gesicht des Gutsherrn, der allem Anschein nach noch nicht begriff, was die höfliche Geste seines Sohnes zu bedeuten hatte. Philippa verstand indessen sofort: Der Medewitzerin war es einmal mehr gelungen, eine drohende Niederlage in einen Triumph zu verwandeln, und sie würde es sich nicht nehmen lassen, diesen Triumph in vollen Zügen auszukosten.
Während die Familie speiste, vermied es Philippa geflissentlich, ihre zukünftige Schwägerin anzublicken. Statt dessen rückte sie ihren Schemel näher an die Seite ihres Vaters. Das Gesicht des Gutsherrn war gerötet und schien vor Fieber zu glühen. Besorgt tastete sie nach seinen zitternden Händen. Blau geschwollen traten die Adern unter der Haut hervor. War die Kälte daran schuld? Die Anstrengung des Tages? Die Aufregung über Abekkes Reden? Golfried drängte sich neben sie und seinen Herrn und schenkte Nikolaus aus einem Zinnkrug Branntwein in seinen Becher.
»Vater, du solltest Golfried nach dem Medicus schicken«, sagte Philippa leise, jedoch nicht leise genug.
»Ihr werdet Euch doch nicht dem Medicus von Borna anvertrauen«, rief Abekke mit lauter Stimme über die Tafel. »Er ist ein Scharlatan, der letzten Winter beinahe aufs Rad geflochten worden wäre! Ich wundere mich, daß er noch nicht aus der Stadt gejagt wurde.«
»Warum sollte man ihn aus der Stadt jagen?« wollte Sebastian wissen.
»Er hat einer Kindsmörderin die Arznei gereicht, mit deren Hilfe sie dann ihr Balg vom Leben zum Tode beförderte. Darüber redet ganz Medewitz.«
»Die meisten Arzneien sind gefährlicher Natur, Jungfer
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