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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Namen, machst du nur hier?« drang die schwache Stimme ihres Vaters an ihr Ohr. Sie klang zerbrechlich wie springendes Glas. »Du darfst … nicht hier sein, dummes Mädchen!«
    Er kann nicht wirklich streng sein, dachte Philippa voller Zuneigung, und ein wehmütiges Lächeln spielte um ihre Lippen. Langsam näherte sie sich dem hohen Kastenbett.
    ***
    »Ich hätte sie niemals schlagen dürfen, Abekke. Sie ist immerhin meine Schwester und seit dem Tod meiner Mutter die Herrin von Lippendorf!«
    Sebastian von Bora trat aus dem strohgedeckten Wirtschaftsgebäude neben der stillgelegten Schmiede und beobachtete mit düsterer Miene, wie zwei Knechte Heringsfässer von einem Karren abluden und einzeln, an der dampfenden Dunggrube vorüber, in einen Kellerschacht rollten. Abekke verzog angewidert das Gesicht. Ihre Schultern bebten vor Kälte, trotz des dicken Umhangs mit Pelzkragen, den ihr Sebastian aus der Kleiderkammer hatte bringen lassen. Sehnsuchtsvoll blickte sie in Richtung des Tores. Irgendwo hinter den gefrorenen Äckern mußte sich der mächtige Bergfried von Burg Medewitz erheben. Als sie bemerkte, daß Sebastians Hand die ihre suchte, machte sie einen Schritt zur Seite und tat so, als habe sie seine zärtliche Geste nicht bemerkt.
    »Sie hat dich vor dem Medicus bloßgestellt. Was glaubst du, warum sie in die Kammer gehen wollte? Doch nur aus dem Grund, deinen Vater zu beschwatzen. Diese Hexe ist durchtriebener, als du dir vorstellen kannst.«
    »Wovon redest du, Abekke?« Nervös befeuchtete Sebastian seine trockenen Lippen mit der Zunge.
    Abekke schüttelte nachsichtig den Kopf und begann, ihre kalten Finger zu massieren. Sebastian war viel zu aufgebracht, um zu bemerken, daß sie ihren Verlobungsreif nicht trug. Nach ein paar Augenblicken des Schweigens zog Abekke einige zusammengerollte Blätter Pergament unter ihrem Umhang hervor und hielt sie Sebastian unter die Nase. Ungläubig nahm der junge Mann die Papiere entgegen und las mit zusammengekniffenen Augen die ersten Zeilen.
    »Inventarium Gentis Borae. Ein neues Vermögensverzeichnis über sämtliche Ländereien von Lippendorf. Mein Vater muß es unmittelbar nach dem Verpfändungstag diktiert haben. Ich erkenne Golfrieds Schrift. Wie bist du an die Aufzeichnungen meines Vaters gekommen?«
    »Was spielt das denn für eine Rolle? Viel wichtiger ist die Frage, wovon du künftig leben willst. Sieh dir das Schadensregister Anno 1535 an und vergleiche es mit dem vom letzten Jahr!« Abekkes Stimme nahm einen scharfen Unterton an. Die beiden Knechte ließen ihre Fässer sinken und starrten zu ihrem Herrn hinüber. Auch eine Magd war aufmerksam geworden. Neugierig steckte sie ihr rotes, verheultes Gesicht aus einem der Fenster zum Innenhof. Ein drohender Blick Abekkes genügte indes, um sie zum Rückzug zu bewegen. Geräuschvoll schlugen die Fensterläden zu, während im Inneren des Küchenflügels zankende Stimmen und Geräusche erklangen, die sich wie Schläge mit einem nassen Lumpen anhörten.
    »Der Bestand an Kühen, Kälbern und Schweinen ist seit dem Herbst um mehr als die Hälfte gesunken«, fuhr Abekke fort. »Von elf Pferden haben nur sieben den Winter überlebt. Fohlen wurden gar keine geboren.«
    Entgeistert starrte Sebastian von der Liste zu seiner Verlobten. Warum quälte sie ihn ausgerechnet jetzt damit? Konnte sie nicht endlich ruhig sein und ihn trösten, so wie es ihr als seiner zukünftigen Frau zukam? Abekke ließ sich jedoch nicht beirren.
    »Eure Weizenernte im Sommer war wegen der anhaltenden Nässe miserabel. Aber da sämtliche Mühlen jetzt zu Medewitz gehören, brauchst du dir um das Korn ohnehin keine Sorgen zu machen. Summa summarum beläuft sich eure Schuld auf nahezu sechshundert Gulden. Die Pfandabzahlung von Medewitz bringt dagegen nur zweihundert Gulden ein. Wenn du nun auch noch deine Schwester unterhalten willst, bist du ruiniert und mußt den Herzog anflehen, daß er dich wieder in seine Dienste nimmt. Für einen Hungerlohn, versteht sich!«
    Sebastian zerknüllte das Inventar in seiner Faust und schleuderte es mit einem zornigen Laut in Richtung Dunggrube. Danach stapfte er zur nahen Räucherkammer hinüber und stieß das Tor auf. Er zitterte am ganzen Leib und hätte doch trotz des kalten Windes den Kopf nur zu gerne in ein Wasserfaß gesteckt. Warum hatte er nicht früher bemerkt, wie schlecht es um das Gut stand? Sein Vater hatte es ihn nicht wissen lassen. Im Gegenteil, er hatte ihn auf die Jagd geschickt, während er

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