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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Stecken vom Straßenrand auf, mit dem sie zu Füßen der Magd Buchstaben und Zahlen in den sandigen Grund malte.
    »Zunächst bedarf es einer exakten Fragestellung. Da die Welt nicht nur von Magistern bevölkert wird, muß das Problem für jedermann verständlich gemacht werden.«
    »Aber es stellt sich doch nicht für jeden dieselbe Frage, Herrin?« warf Maria zweifelnd ein. »Für Euch bedeutet der Weg in die Stadt etwas anderes als für mich … möglicherweise.«
    Philippa lächelte. »Das hast du völlig richtig erkannt. Aus diesem Grund räumte die Scholastik auch dem Für und Wider einer Sache Raum ein. Den Abschluß der Untersuchung bildeten letztendlich die Lösung sowie eine Widerlegung anderer Ansichten.« Sie richtete sich wieder auf und drehte den Stecken zwischen Daumen und Zeigefinger. Nachdenklich blickte sie auf ihre Skizze. Leider war es in der Praxis nicht immer so einfach zur solutio eines Problems zu gelangen wie in der Theorie. Ihre eigenen Erfahrungen führten jeden ihrer Versuche ad absurdum. Was blieb, war lediglich der Anschein, doch dieser reichte bei weitem nicht aus, um sich zu den Humanisten zu zählen.
    Maria Lepper preßte ihr Bündel gegen die Brust, als hielte sie einen Säugling im Arm. Die Enden ihres Kopftuchs flatterten im Wind wie die Segel eines Schiffes. Entschlossen blickte sie Philippa in die Augen. »Ich möchte auch lernen, Herrin«, gab sie zu und errötete vor Verlegenheit. »Nicht Hebräisch oder was die alten Heiden in Griechenland gedacht haben, sondern einfache, nützliche Dinge. Ein wenig Latein vielleicht, damit ich verstehe, was die frechen Scholaren aus Meister Andres' Burse mir beim Kirchgang hinterherrufen und … um die Heilige Schrift selber lesen zu können. Ohne Dolmetsch, der mir sagt, wie ich sie zu verstehen habe.«
    Philippa räusperte sich. Ihr lag die Frage auf der Zunge, warum die Magd mit ihr nach Wittenberg zurückkehrte, wenn sie sich unter den prüfenden Augen der Lutherin doch so unwohl fühlte. Und warum sie sich nicht einen netten Burschen aus der Stadt suchte, der ihr seinen Schutz antrug und somit ihre Ängste verjagte. Die Frauen ihres Alters steckten doch andauernd die Köpfe zusammen, kicherten und ergingen sich in den kühnsten Träumereien, sobald auch nur ein blanker Schild oder ein Harnisch in der Sonne aufglänzte. Maria Lepper dagegen schien in ihrer eigenen kleinen Welt zu leben. Sie war scheu, was darauf schließen ließ, daß sie in der Vergangenheit Schweres durchgemacht hatte. Ihre Augen blickten melancholisch und so verschwommen, als glitzerten immer einige Tränen zwischen den langen, roten Wimpern. Vollends irritiert war Philippa jedoch, als ihr Blick zufällig auf die Hände der Magd fiel. Maria Lepper hatte schlanke, äußerst gepflegte Hände. Ihre Nägel waren kurz, aber sauber und nicht abgebrochen wie die einer Frau, die es gewohnt war, von früh bis spät kräftig zuzupacken. Philippa glaubte sogar an einem der Finger eine kleine Schwellung wahrzunehmen, was auf einen mit Mühe abgestreiften Ring hindeutete.
    »Würde es dir denn Freude machen, hin und wieder an meinem Unterricht teilzunehmen, Maria?« fragte sie die Magd. »Du wärst allerdings die Älteste.«
    »Ist das Euer Ernst, Herrin?« Maria starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Das wäre ja wunderbar, aber …« Rasch warf sie die flatternden Leinenstreifen ihres Kopftuches über die Schultern, »… die Lutherin hat mich doch in ihre Dienste genommen, und ich glaube nicht, daß sie mir die Erlaubnis gibt, Eure Schule zu besuchen.«
    »Vielleicht wissen wir beide zu wenig von meiner Tante und ihren Sorgen, Maria«, erwiderte Philippa beruhigend. »Gewiß wirst du deine Pflichten in Haus und Hof erfüllen müssen. Die Versammlungen des Schmalkaldischen Bundes sind für meine Verwandten äußerst wichtig. Schließlich müssen sie jeden Tag mit der Rache des Kaisers rechnen. Aber mach dir keine Sorgen. Du wirst sehen, es studiert sich auch bei Kerzenlicht nicht schlecht.«
    Maria Lepper nickte nachdenklich und starrte auf Philippas Skizzen zur Spätscholastik zu ihren Füßen. »Es ist unrecht, wegen seines Glaubens verfolgt zu werden. Alle Welt redet von einem neuen Zeitalter. Die Professoren ebenso wie die Priester und Fürsten. Sie senden ihre Seefahrer ans Ende der Welt, wo das Meer in den Abgrund stürzt, und erlauben den doctores sogar Tote zu öffnen, um ihr Innerstes zu studieren. Ich habe selbst gehört, wie Euer Onkel dem Herrn Rat von der

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