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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Hause!« befahl Philippa streng. »Und zwar möglichst hundert Schritte vor deinen nichtsnutzigen Freunden. Hast du mich verstanden?«
    Wortlos rannte der Junge davon. Seine Kameraden trotteten leise tuschelnd hinter ihm her. Das Eingreifen Philippas zugunsten der Barle hatte sie bestenfalls verwirrt; überzeugt von der Falschheit ihres Tuns hatte es sie offensichtlich keineswegs.
    »Eines Tages werden die Burschen am Galgen baumeln«, ächzte die Barle und rieb sich mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht ihr Fußgelenk. »Mit Eselsknöchlein um den Hals. Mein Glück, daß Ihr früher kamt als erwartet. Was habt Ihr denn, Kindchen, ist Euch nicht wohl?« Unerwartet flink sprang die hagere Frau auf die Füße und verzog die Lippen zu einem kalten Grinsen. Ihre dürre Hand legte sich wie ein Gespinst aus Spinnweben auf Philippas Schulter. »Und nun, bringt mich nach Hause, damit Ihr Eure … Bestellung in Empfang nehmen könnt!«
    ***
    Philippa und Maria Lepper verstanden kein Wort von dem Gefasel der Wehmutter. Besonders Maria hätte die Alte nur zu gerne sich selbst überlassen und das Weite gesucht. Doch Philippa bemerkte, daß Barles Knöchel zusehends anschwollen, und bestand darauf, die sonderbare Frau in deren Behausung zu begleiten. Schließlich konnte man froh sein, wenn die verrückte Hexenjagd für den törichten kleinen Johannes ohne Folgen blieb.
    Die Barle bewohnte eine windschiefe Lehmkate in einem mit Waschtrögen, Deichseln und zerbrochenen Wagenrädern überfüllten Innenhof, zu dem ein wahres Gewirr aus schmutzigen Gassen und dunklen Winkeln entlang der Stadtmauer führte. Hierhin verirrte sich selten ein Sonnenstrahl, dafür roch es nach verfaultem Fisch und Vieh. Das Haus war an den Vorsprung eines wuchtigen Pulverturms angebaut worden und erweckte den Eindruck, als schmiegte sich sein spitzer Giebel schutzsuchend an dessen starke Mauern.
    Als Philippas Augen sich an das Dämmerlicht im Innern der Stube gewöhnt hatten, erkannte sie eine Reihe zusammengeschnürter Kräuterbündel, die von einem groben Balken herabhingen. Der Balken teilte die Kammer durch ein paar braune Wolldecken in zwei Hälften. Philippa streckte die Hand aus und zog einen Zweig aus einem der Büschel. Lorbeerblätter. Der würzige Duft vermochte es, Philippa wenigstens einige Atemzüge lang von dem muffigen Geruch abzulenken, der über dem Haus der Hebamme lag.
    Maria Lepper ließ ihr Bündel mit Habseligkeiten an der Türschwelle zurück und half der Barle mit angewiderter Miene zu einem Lehnstuhl, aus dessen zerfetztem Polster fauliges Stroh hervorquoll. Neben dem Lehnstuhl stand ein Tisch, der sich unter der Last verschiedener Tonkrüge, Tiegel mit Mörsern und einer Zange mit Holzgriff bog, und dahinter ein eiserner Dreifuß, an dem über einigen glimmenden Holzscheiten ein rostiger Wasserkessel vor sich hin brodelte.
    Philippa wollte die Stube schon verlassen, als aus einem Winkel hinter dem Deckenvorhang plötzlich ein gequältes Wimmern erscholl.
    »So, sie ist also erwacht«, raunzte die Barle und beschied Philippa mit heruntergezogenen Mundwinkeln, die Tür zu schließen. Sie nahm ihre verrutschte Haube vom Kopf, warf sie zur Seite und erhob sich stöhnend. »Keine Angst, es wird nicht mehr lange dauern. Dann haben wir alle, was wir wollten. Die da …«, sie deutete verächtlich auf den Vorhang, »… wollt's ja nicht anders haben!«
    Schwungvoll streifte die Barle die Wolldecken vom Balken. Dahinter stand ein breiter Stuhl mit Arm- und Rückenlehne, auf dem sich eine Frau in Schmerzen wand.
    Philippa trat näher, ohne Marias leisen Protest wahrzunehmen. Die Frau war etwa dreißig Jahre alt und trug ein weites Kleid aus rot gefärbtem Leinen, das sich über ihrem geschwollenen Bauch zusammenzog. Ihr Gesicht war fast ebenso rot wie der Stoff, und auf ihrer breiten Stirn hatten sich dicke Schweißperlen gebildet.
    »Laßt uns gehen, Herrin«, hauchte Maria und zerrte respektlos an Philippas Umhang. »Die Frau ist hochschwanger und wird in wenigen Augenblicken gebären! Aber das geht uns nichts an. Was sollen wir hier?«
    Die Magd hatte recht. Eine geheime Bedrohung ging von diesem Ort aus, und daran waren nicht nur die gebündelten Kräuter und die Phiolen mit übelriechenden Tinkturen schuld, die überall in der Stube herumstanden. Die Barle schien zwar eine geübte Hebamme zu sein, doch warum war sie nicht ins Haus der Schwangeren gerufen worden und nahm statt dessen eine Entbindung in ihrer eigenen ärmlichen Kate

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