Die Magistra
griechischen und römischen Klassikern auch hebräische Lehrwerke anzuschaffen. Leider ist es nicht einfach, an geeignete Grammatiken zu kommen. Möglich, daß ich erst einmal auf Reisen gehen muß, um ein entsprechendes Werk zu finden.«
Aus dem Haus drangen die sanften Töne einer Flöte zu ihnen herüber und verschmolzen mit dem Wind und dem leisen Rauschen des Faulen Baches. Staunend lauschte Philippa einigen Takten der wehmütigen Weise. Die Verwalterin spielte gut, besser als so mancher Stadtpfeifer. Eine ungeheuerliche Idee begann in Philippas Gedanken Gestalt anzunehmen. Ungeheuerlich, weil sie ahnte, daß ihre Wittenberger Verwandten von ihr nicht begeistert sein würden. Dennoch konnte sie der Versuchung nicht widerstehen.
»Magister Bernardi, meine Tante hat mir erzählt, daß Ihr die hebräische Sprache beherrscht. Vielleicht können wir uns gegenseitig einen Gefallen tun.«
»Worauf wollt Ihr hinaus?« Bernardi trat einen Schritt zurück und spielte abwartend an der Kette seines silbernen Medaillons.
»Nun, ich kann ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, ein bedeutendes Lehrwerk des Hebräischen aufzukaufen. Die wenigsten Universitäten besitzen solche Bücher, nicht einmal diejenigen, die sich den Idealen der Humanisten geöffnet haben. Was würdet Ihr also davon halten, wenn ich Euch eine komplette Ausgabe der De rudimentis hebraicis von Johannes Reuchlin besorgen würde?«
Bernardi schüttelte den Kopf. »Melanchthon ist Reuchlins Großneffe, aber nicht einmal ihm ist es bisher gelungen, eine vollständige Ausgabe dieses Buches zu erwerben. Es wird erzählt, daß Reuchlin ihm seine Bibliothek vermachen wollte, aber der Alte knüpfte daran die Bedingung, daß sein Neffe den Lehren Luthers entsagt. Melanchthon weigerte sich und wurde enterbt.«
»Vielleicht sollte sich Euer Freund Melanchthon einmal nach einem besseren Buchhändler umsehen. Ich jedenfalls besitze eine Leipziger Grammatik Reuchlins. Sie liegt in meiner Truhe im Schwarzen Kloster, aber ich wäre bereit, sie Euch zu überlassen.«
»Und … Euer Preis? Ihr wollt doch etwas von mir haben!«
Philippa holte tief Luft, ehe sie antwortete: »Ich möchte, daß Ihr mir Unterricht im Hebräischen erteilt. Von Magister zu Magistra, sozusagen!«
Bernardi legte die Stirn in Falten. Das melodiöse Flötenspiel hatte aufgehört. Einen Herzschlag lang sah es so aus, als fragte er sich, ob Philippa den Verstand verloren hatte. Doch schließlich sagte er mit leiserer Stimme: »Ihr bewegt Euch gern auf dünnem Eis, Philippa von Bora. Aber wie es der Zufall will, habe ich eine Schwäche für zerbrechliche Dinge, und Euer Reuchlin käme mir und der Bibliothek wahrhaftig sehr gelegen.«
Als Philippa dem Magister zur Bekräftigung ihres Vertrages die Hand reichte, konnte sie ihre Freude kaum verbergen. Sie versicherte Bernardi, ihn so bald wie möglich in der Werkstatt des Druckers Lufft aufzusuchen, um ihm das kostbare Buch auszuhändigen. Dann verabschiedete er sich von ihr.
Während sie und Maria Lepper über die Felder in Richtung Stadttor liefen, sprach Philippa nur wenig. Sie hatte längst eingesehen, daß es keinen Sinn hatte, die scheue Magd mit Fragen zu traktieren, welche diese nur mit einem vorwurfsvollen Kopfschütteln oder höchst einsilbig beantwortete. Um so erstaunter war sie, als das Mädchen kurz vor der Weggabelung zum Saumarkt plötzlich stehenblieb.
»Ist es wahr«, fragte sie, »daß Ihr … nun, daß Ihr eine Magistra seid, Herrin?« Dabei betonte sie das Wort Magistra in derart andächtiger Weise, als läge in dessen Lauten eine Zauberformel. Philippa hielt einen Moment lang inne, verblüfft und beschämt zugleich, weil sie mit einer solchen Frage nicht gerechnet hatte. Dann antwortete sie: »Die Humanisten um Erasmus von Rotterdam sagen, daß Gelehrsamkeit und Weisheit Hand in Hand gehen müssen, um die Wunder unserer Welt begreiflich zu machen. Sie lehren, daß man ad fontes gehen muß, zu den Quellen. Bislang glaubte ich, auf dem richtigen Weg zu sein, doch seit dem Tod meines Vaters hat sich mein Leben verändert. Und mein Weg ebenso!«
»Das verstehe ich nicht«, erwiderte Maria.
»Ich werd's dir erklären. Das Studium eines wahrhaftigen Gelehrten darf nicht ziellos verlaufen, es muß einer Logik folgen. Die Scholastiker haben das bereits vor Jahrhunderten erkannt, indem sie sich bemühten, Glaubenswahrheiten in ein geschlossenes System zu bringen. Warte, ich zeige es dir!« Philippa bückte sich und hob einen
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