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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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Fluten der Elsa zwar ebenso heftig gegen das Ufer, doch gab es hier eine befestigte Kaimauer,
die wesentlich höher war als auf der anderen Flussseite. Unförmige Schatten ließen Gebäude erahnen. Der Turm, den sie von drüben gesehen hatte, musste einer von ihnen sein. Luisas Zähne klapperten so heftig, dass sie sich ernsthafte Sorgen um ihre Gesundheit zu machen begann. Bisher hatte sie Glück gehabt. Der Herbst war warm und trocken gewesen, doch seit einer Woche war das Wetter umgeschlagen und hatte seinen vorläufigen Höhepunkt in diesem Sturm erreicht.
    Niemand schien von ihr Notiz zu nehmen. Zwei der Knechte halfen den Vettorini mit dem Gepäck und hielten Decken über sie, um sie notdürftig vor dem Regen zu schützen. Die anderen Männer befreiten die Maultiere aus dem Geschirr und führten die entkräfteten Tiere zu den Ställen des Gasthauses. Anscheinend ging Signor Vettorini davon aus, dass man ihnen Unterkunft geben würde. Luisa holte ihr Bündel aus dem Wagen, den die Männer hinter einen Verschlag am Kai geschoben hatten. Dann folgte sie der kleinen Gruppe, wobei ihre Stiefel knöcheltief im Matsch versanken.
    Der Turm, den sie als Silhouette ausgemacht hatte, war Teil einer ehemaligen Stadtmauer. Die beiden halbverwesten Leichname, welche der Sturm gegen die Mauer schlug, machten die Siedlung nicht einladender. Was auch immer die Männer verbrochen hatten, jetzt dienten sie nur noch der Abschreckung von Gesindel. Luisa wich dem Fuß eines Gehenkten aus, der ihr vor das Gesicht geweht wurde.
    Im Windschatten der Mauer duckte sich das Gasthaus, das seinen Namen kaum verdiente, denn es war nicht mehr als ein stinkender Schankraum, in dem in den Ecken Stroh aufgeschüttet war. Der Lehmboden war stellenweise feucht, und Luisa starrte angeekelt auf die schnarchenden Gestalten, die sich in Lumpen gehüllt bereits zum Schlafen niedergelegt hatten.

    Signor Vettorini holte eine Münze hervor und zeigte sie dem Wirt, der sie mit gierigen Händen ergreifen wollte. »Nein, zuerst zeigst du uns eine Kammer. Für mich und meine Familie.« Der toskanische Kornhändler war alt, aber noch immer eine Ehrfurcht gebietende Erscheinung.
    Grinsend hob der Wirt die Hände. Seine schwulstige rote Nase und die zahnlose Mundhöhle, der ein fauliger Gestank entwich, ließen Vettorini zurücktreten. »Ich habe keine Gästekammer. Müsst schon hier liegen wie die anderen auch.« Erneut griff er nach der Münze.
    Doch Signor Vettorini ließ sich nicht abweisen. »Dann gib uns deine Kammer!«
    Die Mädchen wimmerten und versteckten sich hinter ihrer Großmutter. Die Gier des Wirtes siegte, und die Vettorini zogen in dessen Kammer, aus der nun eine schlechtgelaunte Frau und drei Kleinkinder kamen, die sich sofort auf eines der Strohlager legten. Da Luisa kaum genug Geld für ihre Reise hatte, musste sie sich mit dem Einfachsten zufriedengeben, was in diesem Fall wahrlich einer Strafe gleichkam. Überall an den Wänden und auf dem Boden schien es sich zu bewegen, und sie war davon überzeugt, dass die Wanzen nur darauf warteten, sich auf sie stürzen, sobald das Licht erloschen war. Es gab noch zwei Ecken mit Strohhaufen, auf denen sich drei der Knechte bereits niederließen. Die beiden anderen verkündeten, lieber bei den Tieren zu nächtigen.
    »Ich komme mit euch!«, sagte sie rasch und ging wieder in den Regen hinaus.
    Der Stall war zugig und bot kaum genügend Raum für die vier Maultiere und drei Pferde, doch Luisa kauerte sich an einem Pfosten auf eine Kiste und legte die Arme um die angezogenen Beine. Ihre nassen Sachen konnte sie nicht ausziehen, und es gab auch kein Feuer, an dem sie sich hätte trocknen können. »Madonna, lass mich nicht schon auf
diesem ersten Stück meiner Reise scheitern«, murmelte sie, drückte ihr Bündel mit den Werkzeugen und Zeichnungen an sich und driftete in einen Zustand zwischen Wachen und Träumen, aus dem sie erwachte, weil etwas sie berührte.
    »Was …?«
    Einer der Knechte kniete neben ihr und versuchte offensichtlich, ihr den Lederbeutel zu entwenden. »Verdammt! Hau ab!« Wütend trat sie nach dem Burschen, dessen Blick nichts Gutes verhieß.
    Er hatte kurze Haare, eine schiefe Nase, und eine Narbe zog sich quer über seine Stirn. Ihre Tritte bewirkten, dass er umso fester zupackte. »Gib schon her. Du fährst doch nach Frankreich, habe ich gehört. Dann hast du bestimmt auch Geld dabei.«
    Gegen seine rohe Gewalt hatte sie kaum eine Chance, und Tränen der Wut liefen ihr über

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